Krankenversicherungspflicht für Selbstständige: eine Million neue GKV-Mitglieder

In der Diskussion um Reformen der Krankenversicherung haben IGES-Experten die Bedeutung der rund 3,4 Millionen Selbstständigen untersucht. Würde künftig auch auf sie die für Arbeitnehmer geltende Krankenversicherungspflicht übertragen, brächte dies den gesetzlichen Krankenkassen rund eine Million neue Mitglieder. Welche finanziellen Folgen dies für die Kassen und für die betroffenen Selbstständigen hätte, hängt dabei vor allem von der künftigen Gestaltung der Beitragsregeln ab.

Berlin, 6. Juli 2016 (IGES Institut) - Das zeigen Analysen des IGES Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung mit Daten aus dem Jahr 2014. Danach sind bereits heute 57 Prozent der Selbstständigen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert und 43 Prozent in der privaten (PKV).

Bei einer Ausweitung der derzeit geltenden Versicherungspflicht auf Selbstständige würden rund eine Million der gegenwärtig privat Versicherten Pflichtmitglied der GKV. Weitere 80.000 würden vermutlich freiwillig in die GKV wechseln, weil sie dort niedrigere Beiträge erwarten. Damit verließen rund 70 Prozent der privatversicherten Selbstständigen die PKV. Der Anteil gesetzlich versicherter Selbstständiger insgesamt stiege von 57 auf 88 Prozent.

Rund 1,8 Milliarden Euro GKV-Mehreinnahmen

Unter den derzeitigen Beitragsregeln, insbesondere zur Mindesthöhe der Beitragszahlungen für Selbstständige, brächten diese neuen Mitglieder den gesetzlichen Krankenkassen Mehreinnahmen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro. Diese kommen zustande, weil die Leistungsausgaben der Krankenkassen für diese neuen Versicherten geringer sind als die zusätzlichen Beitragseinnahmen.

Das Plus bei den Kassen ginge jedoch maßgeblich zu Lasten der Haushalte der Selbstständigen. Diese würden durch den Wechsel um 1,7 Milliarden Euro belastet, da die nun zu entrichtenden GKV-Beiträge in vielen Fällen höher als die ehemaligen PKV-Prämien ausfallen. Im Jahr 2014 bewegten sich die Mindestbeiträge Selbstständiger in der GKV je nach Einkommen in der Regel zwischen 321 Euro und maximal 628 Euro. Zum Vergleich: Die PKV-Prämien von Selbstständigen lagen durchschnittlich bei 378 Euro pro Monat.

Veränderte Mindestbeiträge entlasten Selbstständige in der GKV

Anders fällt die Bilanz allerdings aus, wenn die festgelegten GKV-Mindestbeiträge verändert werden. Eine Absenkung oder gar Abschaffung der heutigen Mindestbeiträge würde die Krankenkassen um 200 bzw. 700 Millionen Euro zusätzlich belasten. Entsprechend müsste der GKV-Beitragssatz geringfügig um 0,03 oder 0,06 Prozentpunkte erhöht werden. Die Haushalte der Selbstständigen würden umgekehrt um 400 bzw. 800 Millionen Euro entlastet.

Besonders bei Selbstständigen mit niedrigem Einkommen schlagen derzeit Krankenversicherungsbeiträge stark zu Buche. Das wird deutlich, wenn die Selbstständigen nach Höhe des persönlichen Bruttoeinkommens in fünf gleiche Gruppen unterteilt werden, wie dies in der IGES-Studie erfolgte. Diejenigen im untersten Einkommensfünftel geben derzeit - unabhängig von GKV- oder PKV-Zugehörigkeit - rund 40 Prozent ihres Einkommens für ihre Krankenversicherungsbeiträge aus. In der höchsten Einkommensgruppe zahlen Selbstständige hingegen weniger als ein Zehntel ihres Einkommens für die Krankenversicherung.

Den IGES-Autoren zufolge relativiert sich die Belastung bei den geringverdienenden Selbstständigen, wenn man das gesamte Haushaltseinkommen betrachtet, in das auch Einkommen weiterer Familienmitglieder einfließen. Sowohl gesetzlich als auch privat versicherte Selbstständige der geringsten Einkommensgruppe leben in Haushalten mit einem durchschnittlichen Nettoeinkommen von 45.000 bzw. 51.600 Euro pro Jahr. Damit liegt das Haushaltseinkommen um ein Vielfaches höher als der Verdienst aus der eigenen Selbstständigkeit.

Folgen für das gesamte Gesundheitssystem

Den Studienautoren zufolge habe eine ausgeweitete Versicherungspflicht auf Selbstständige nicht nur Folgen für die Einnahmen- und Ausgabensituation der gesetzlichen Kassen und ihrer (Neu-)Mitglieder. So würde ein Verlust von 70 Prozent der privat versicherten Selbstständigen die Umsätze von medizinischen Leistungserbringern jährlich um schätzungsweise bis zu 1,9 Milliarden Euro merklich verringern. Auch für private Krankenversicherungsunternehmen könnte dies massive Folgen haben. Zu überlegen sei auch, wie mit den angesammelten Altersrückstellungen von geschätzt rund 27 Milliarden Euro der Wechsler umzugehen sei.