Frühe Nutzenbewertung beeinflusst Therapieentscheidungen kaum
Die frühe Nutzenbewertung scheint die Verordnung neuer Arzneimittel weder zu hemmen noch zu fördern. Ob Ärzte ihren Patienten neue Wirkstoffe verschreiben, hängt vielmehr von vielen anderen Faktoren ab, etwa vom jeweiligen Behandlungsgebiet oder von konkurrierenden Therapien. Das zeigen Analysen des IGES Instituts.
Berlin, 8. Februar 2017 (IGES Institut) - Dafür verglichen IGES-Experten die Verbrauchsentwicklung von 105 Wirkstoffen, die vor oder nach Inkrafttreten der frühen Nutzenbewertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) eingeführt wurden. Ihr Markteintritt lag zwischen 2005 und 2013 und wurde jeweils über einen Zeitraum von zwei Jahren beobachtet. Ferner untersuchten die Wissenschaftler, ob das Bewertungsergebnis - die Höhe des ermittelten Zusatznutzens - den Einsatz eines neuen Präparates beeinflusst.
Marktdurchdringung neuer Wirkstoffe generell in Deutschland gering
Danach erreichen neue Wirkstoffe mit oder ohne Nutzenbewertung innerhalb von zwei Jahren generell selten mehr als zehn Prozent ihres erwarteten Verbrauchs bei der betroffenen Patientengruppe, schreiben die Autoren in einer Internetveröffentlichung für die Zeitschrift „Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement“.
Nach Einführung der frühen Nutzenbewertung gelang den Wirkstoffen allerdings innerhalb der Beobachtungszeit eine etwas höhere Marktdurchdringung. Sie erreichten durchschnittlich 8,3 Prozent des erwarteten Verbrauchs. Allerdings schwankten die Werte je nach Wirkstoff zwischen 4 und 12,5 Prozent sehr stark. Bei den Wirkstoffen aus der Zeit vor dem AMNOG waren dies durchschnittlich 5,8 Prozent des geschätzten Verbrauchs.
Aufgrund der großen Spannweite bei der Marktdurchdringung ist der Unterschied jedoch nicht statistisch signifikant. Relativierend kommt hinzu, dass 40 Prozent der Wirkstoffe aus der Zeit nach Einführung der Nutzenbewertung aus dem Bereich der Krebstherapie stammen. In der Zeit vor dem AMNOG waren dies 26 Prozent. Aufgrund der Schwere von Krebserkrankungen und oft fehlender Therapieoptionen kommen dort Innovationen meist schneller zum Einsatz.
Höhe des Zusatznutzens korreliert nicht mit Marktdurchdringung
Die untersuchten Wirkstoffe betrafen sehr verschiedene Anwendungsgebiete. Auch dies könnte eine Ursache der beobachteten großen Unterschiede bei der Marktdurchdringung sein. Daher verglichen die IGES-Forscher Vor- und Nach-AMNOG-Einführungen jeweils nur in identischen Anwendungsgebieten. Auch dabei zeigte sich kein eindeutiger Einfluss der Nutzenbewertung auf die Verordnungsmengen zwei Jahre nach Markteintritt. Und sogar der ermittelte Zusatznutzen korreliert nicht mit der Marktdurchdringung: Ein positiver Zusatznutzen geht nicht zwangsläufig mit einem Mehrverbrauch einher.
Die Autoren schließen daraus, dass der Einsatz neuer Medikamente vor allem von den jeweiligen, spezifischen Marktbedingungen und der Wettbewerbssituation abhängen. So konkurrieren neue Wirkstoffe mit bereits bestehenden Alternativen und ein Therapiewechsel ist nicht für jeden Patienten sinnvoll. Insbesondere bei generischen Alternativen könnten Kostengründe Ärzte bewegen, neue Medikamente zunächst nicht zu verschreiben. Zu bedenken sei ferner, dass die geschätzte Zahl der Patienten, für die ein neues Medikament in Frage kommt, aufgrund fehlender Informationen und Daten häufig zu groß angesetzt werde.
Das Fazit der Autoren: „Sowohl die vom Gesetzgeber genannte Erwartung, dass sich mit der Nutzenbewertung Innovationen schneller am Markt durchsetzen, als auch Befürchtungen der Hersteller, dass Innovationen am Markt behindert werden, lassen sich nicht belegen.“
Christoph de Millas, Ariane Höer, Anne Zimmermann, Bertram Häussler: Marktdurchdringung von neuen Arzneimitteln; Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement, Thieme 2016; DOI: 10.1055/s-0042-122162