Stadtteil-Gefälle bei Ärzten in Großstädten: starke Abweichungen in Berlin
Wie ungleich Ärzte nicht nur zwischen Stadt und Land verteilt sein können, sondern auch innerhalb großer Städte, zeigt eine aktuelle Studie zur ambulanten Arztdichte in Berlin. Dort haben vor allem sozialschwache Stadtteile oft unterdurchschnittlich wenig Haus-, Fachärzte und Psychotherapeuten je Einwohner. Zugleich besteht dort ein erhöhter medizinischer Versorgungsbedarf. Dieser wird künftig noch weiter steigen.
Berlin, 19. Juni 2017 (IGES Institut) - Das geht aus einer Studie des IGES Instituts zur ärztlichen Versorgung für ausgewählte Arztgruppen in zwei Berliner Bezirken hervor. Beauftragt hat die Untersuchung das Bezirksamt Lichtenberg von Berlin in Kooperation mit dem Bezirksamt Neukölln. In beiden Bezirken leben insgesamt rund 600.000 Menschen, 17 Prozent der Berliner.
Ziel der Untersuchung war es, mögliche Versorgungsdefizite im Vergleich zu anderen Berliner Bezirken auszumachen. Ferner sollten Vorschläge für eine differenziertere lokale Versorgungssteuerung erfolgen, unabhängig von geplanten Reformen der Bedarfsplanung auf bundesweiter Ebene durch den Gesetzgeber oder die Selbstverwaltung.
Hintergrund ist, dass die Stadt Berlin seit 2003 bei der Bedarfsplanung als ein Planungsbezirk gilt. Die Bedarfsplanung sieht daher nicht mehr eine gleichmäßige Verteilung der Arztsitze über das gesamte Stadtgebiet vor. Daher bleiben Unterschiede bei ärztlichen Kapazitäten zwischen den Bezirken bestehen.
Niedrigere Hausarztdichte als im berlinweiten Durchschnitt
So weisen vor allem der Bezirk Lichtenberg mit 51,8 Hausärzten je 100.000 Einwohner, aber auch der Bezirk Neukölln (59,5) eine Hausärztedichte unterhalb der berlinweiten und auch bundesweiten Hausärztedichte auf (65,6 und 66,3). Damit erreicht der Bezirk Lichtenberg 86 Prozent und Neukölln 97 Prozent der im Rahmen der Bedarfsplanung vorgesehenen Hausärzte. Beide Bezirke liegen damit aber immer noch über dem Schwellenwert von 75 Prozent, der nach der gegenwärtigen Regelung die Grenze zur Feststellung einer Unterversorgung markiert.
Die Kinderärztedichte liegt im Bezirk Neukölln um 20 Prozent unter dem berlinweiten Durchschnitt. Das ist die geringste Kinderärztedichte unter allen Berliner Bezirken. Bei den Psychotherapeuten liegt die Dichte sogar um rund 50 Prozent unterhalb dem Berliner Durchschnitt.
Erhöhte Krankheitslast der Bevölkerung in den untersuchten Bezirken
Beide Stadtbezirke haben jedoch eine vergleichsweise ungünstige Sozialstruktur, etwa aufgrund hoher Arbeitslosigkeit oder geringem Bildungsniveau. Und sie zeigen eine erhöhte Krankheitslast ihrer Bewohner. Beides führt dort im Vergleich zu Gesamtberlin zu einem erhöhten medizinischen Versorgungsbedarf. Dieser wird der Studie zufolge künftig noch steigen. Darauf deuten die prognostizierte Bevölkerungszunahme und Alterung der Bewohner hin.
Zugleich werden viele Ärzte in den kommenden Jahren altersbedingt ausscheiden. Bereits zwischen 2013 und 2016 sind im Bezirk Lichtenberg die ärztlichen Kapazitäten im Verhältnis zur Bevölkerung bei den Hausärzten um 12 Prozent und bei den Kinderärzten um 18 Prozent zurückgegangen.
Um künftig Versorgungslücken zu vermeiden, sollte den Autoren zufolge in Berlin unter anderem geprüft werden, von der Bedarfsplanungsrichtlinie aufgrund regionaler Besonderheiten abzuweichen. Dies nutzen derzeit große Städte bundesweit kaum, um die Verteilung der Arztsitze zwischen den Bezirken stärker an Bedarfsunterschieden zu orientieren.
In Berlin hat sich das Gemeinsame Landesgremium eine „Homogenisierung der Versorgungsgrade“ zwischen den Bezirken zum Ziel gesetzt und setzt hierzu seit dem Jahr 2013 eine Strategie zur Versorgungssteuerung („Letter of Intent“) um. Dies hat sich jedoch noch nicht deutlich in einer Angleichung der Versorgungsgrade niederschlagen. Aber zumindest wurde ein weiteres Auseinanderdriften gestoppt und teilweise sogar eine Trendwende erreicht.
Besseres Monitoring der Versorgungsangebote hilfreich
Elementar für eine bessere Versorgungssteuerung auf bezirklicher Ebene ist den Studienautoren zufolge ein detailliertes Monitoring der ambulanten Versorgungsangebote. So ist gegenwärtig weitgehend unklar, in welchem Umfang Krankenhäuser durch ambulante Behandlungsleistungen unterdurchschnittliche Behandlungskapazitäten niedergelassener Vertragsärzte kompensieren können. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass das Leistungsspektrum der Vertragsärzte teilweise stark variiert. Zu mehr Bedarfsorientierung tragen zudem Bürger- und Patientenbefragungen bei, etwa zu Themen wie Terminwartezeiten, Zufriedenheit oder Anreisewegen.
Titel der Studie; Ambulante ärztliche Versorgung in den Berliner Bezirken Lichtenberg und Neukölln
Grundlagen für die Entwicklung eines Versorgungskonzepts
Autoren: Dr. Martin Albrecht Dr. Andreas Brenck Dr. Richard Ochmann