Mit neuer Vergütung sektorenübergreifende Versorgung stärken

Im internationalen Vergleich hat Deutschland überdurchschnittlich viele Krankenhausfälle. Dabei könnte ein Teil der Patienten auch kostengünstiger ambulant behandelt werden. Eine neue, eigenständige Vergütung für ausgewählte Behandlungsanlässe könnte laut Experten dabei unterstützen, dieses ambulante Potenzial zu heben und Kosten zu sparen.

Berlin, 12. Juni 2018 (IGES Institut) - Derzeit unterscheiden sich die Kosten für Behandlungen, die prinzipiell sowohl stationär als auch ambulant möglich wären, teilweise erheblich. Das verdeutlichen IGES-Experten anhand von vier Fallbeispielen im Bereich Diabetes mellitus, nicht schwere kardiale Arrhythmien, Schlafapnoe/Polysomnographien sowie gastroenterologische Erkrankungen. Dies geschah im Rahmen einer Analyse für das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland.

Dabei reicht die Spannbreite der Mehrkosten der stationären gegenüber der ambulanten Behandlung von etwas über zehn Prozent bis zum 16,6-fachen. Die Gegenüberstellung orientiert sich dabei jeweils an den häufigsten Diagnosen und Prozeduren, die Krankenhäuser bei Abrechnung der entsprechenden DRG-Fallpauschalen dokumentieren.
 
Relativ gering sind die Unterschiede bei gastroenterologischen Erkrankungen, wenn Patienten maximal eine Nacht in der Klinik bleiben: Dann übersteigt die stationäre Behandlung mit 623 Euro die ambulante Behandlung in Höhe von 549 Euro lediglich um 13,5 Prozent. Die Kosten für die stationäre Behandlung der Schlafapnoe bei ebenfalls maximal einer Krankenhausnacht liegen hingegen bereits ein Drittel höher, bei 640 Euro statt bei 477 Euro.

Diabetes-Versorgung besonders auffällig

Der größte Unterschied ergibt sich für die kurzstationäre Versorgung von Diabetes-Patienten bei zwei Tagen Klinikaufenthalt: die ambulante Versorgung wird mit 139 Euro vergütet, die stationäre mit 2.299 Euro, dem 16,6-fachen. Bei nur einem Tag in der Klinik verringern sich die Kosten auf 520 Euro, was das 3,8-fache der ambulanten Kosten darstellt. Die Kosten für Patientenschulungen sind dabei in den Kosten für die ambulante Versorgung nicht enthalten; sie würden den Abstand jeweils um rund 100 Euro verringern.

Ziel der Studie war es, das Ausmaß von Kostenunterschieden an der intersektoralen Schnittstelle exemplarisch zu ermitteln. Die Analyse soll zur Diskussion beitragen, wie gesamtwirtschaftliche Kosten vermieden werden können, indem prinzipiell ambulant behandelbare Patienten nicht in systematisch teureren Strukturen versorgt werden. Darüber hinaus beschreiben die Wissenschaftler Möglichkeiten und Voraussetzungen einer sektorenübergreifenden Vergütung.
 
Die vier Beispielfälle klassifizieren die Experten als potenziell für die ambulante Versorgung geeignet, weil sie mit einem relativ kurzen Klinikaufenthalt einhergehen und einen relativ niedrigen Schweregrad aufweisen. Zusätzlich gelten sie bis auf die kardialen Arrhythmien in der Fachliteratur als so genannte „ambulant sensitive Diagnosen“, also als stationäre Behandlungsfälle, die prinzipiell durch eine effektive und rechtzeitige ambulante Versorgung zu verhindern sind.

Keine Hochrechnung auf bundesweite Einsparpotenziale

Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass diese Auswahl keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Repräsentativität hat. Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass diese Behandlungen unter bestimmten Bedingungen wie bei sozialer Indikation - etwa bei älteren Patienten oder bei Patienten ohne Unterstützung - oder bei Bedarf einer interdisziplinären Behandlung gar nicht ambulant möglich sind. Aus diesem Grund enthält die Analyse auch keine Hochrechnung auf bundesweite Einsparpotenziale.
 
Ursache der gezeigten intersektoralen Vergütungsunterschiede sind die derzeitigen ökonomischen, organisatorischen sowie regulativen Rahmenbedingungen. Dazu gehören die unterschiedlichen Kostenstrukturen für Personal- oder Sachkosten in den jeweiligen Sektoren oder die unterschiedlichen Vergütungssysteme, die DRG-Fallpauschalen für den stationären und der einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) für den ambulanten Bereich.

Einseitige Belastung der Sektoren verhindern

Nach Ansicht der IGES-Experten läge der Vorteil einer eigenständigen Vergütung für gleichwertige stationäre und ambulante Leistungen, dass eine Vergütungsreform nicht einen Sektor einseitig und übermäßig finanziell belastet. Läge das Niveau dieser neuen Honorierung zwischen den derzeitigen Vergütungshöhen in den jeweiligen Sektoren, wäre es vor allem für Krankenhäuser in strukturschwachen Regionen finanziell attraktiver, ambulant behandelbare Fälle auch ambulant zu behandeln. Umgekehrt verringert dies bei niedergelassenen Ärzten Anreize, Patienten ins Krankenhaus einzuweisen.

Weitere organisatorische Reformen nötig

Um ein derartiges Vergütungssystem zu ermöglichen, sind jedoch zunächst zentrale konzeptionelle Voraussetzungen zu klären. Dazu gehören Fragen der Abgrenzung der Behandlungsanlässe, die orts- bzw. sektorenunabhängig zu vergüten wären, sowie die Frage, welche Kostenstrukturen als Referenz für eine einheitliche Vergütung herangezogen werden sollten. Darüber hinaus wären noch weitere Anpassungen der Rahmenbedingungen nötig. So müssten etwa für den Bereich sektorenunabhängig vergüteter Leistungen die Grenzen zwischen den jeweiligen Honorar- und Ausgabenbudgets aufgehoben werden.