GKV-Finanzen: ohne Gegenmaßnahmen 50-Milliarden-Euro-Defizit möglich
Der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) könnte bis zum Jahr 2040 ein Defizit in Höhe von bis zu 50 Milliarden Euro drohen. Sowie die kräftigen Lohnzuwächse der vergangenen Jahre einbrechen, wären absehbare Steigerungen der Ausgaben bald nicht mehr gedeckt. Auch Preissteigerungen im Gesundheitswesen belasten die Kassenlage in der GKV erheblich. Die Alterung der Bevölkerung wirkt sich anders als erwartet vergleichsweise gering auf die Ausgaben der Kassen aus. Ohne Gegenmaßnahmen müsste der allgemeine Beitragssatz von derzeit 14,6 Prozent auf bis zu 16,9 Prozent angehoben werden, um die Finanzierungslücke zu schließen.
Titel der Studie: Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung
Hintergrund: Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) verfügt derzeit über hohe Finanzreserven. Konjunkturelle Eintrübung und der demographische Wandel könnten diese komfortable Ein- und Ausgabensituation der Krankenkassen gefährden.
Fragestellung: Wie würde sich die GKV-Finanzierung bis zum Jahr 2040 entwickeln, wenn die zukünftige Entwicklung den längerfristigen Trends der letzten 20 Jahre entspräche? Welche Wirkung haben unter dieser Annahme die verschiedenen demographischen und sozioökonomischen Einflussfaktoren sowie der medizinisch-technische Fortschritt?
Methode: Entwicklung eines Simulationsmodells zur Analyse künftiger Ein- und Ausgaben der GKV unter Einbezug exogener und endogener Einflussfaktoren auf die Finanzierung. Zugrunde liegen Daten zu Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre (z.B. Bevölkerungs- und Einkommensentwicklung, GKV-Finanzen)
Ergebnisse: Bereits ab Mitte der 2020er Jahre würde ohne Gegenmaßnahmen in der GKV eine Finanzierungslücke entstehen. Bis 2040 wäre ein Defizit von bis zu 50 Milliarden Euro möglich. Vor allem die künftige Entwicklung des allgemeinen Lohn- und Preisniveaus wirken stark auf die GKV-Ausgaben.
Autoren: Dr. Richard Ochmann, Dr. Martin Albrecht
Auftraggeber: Bertelsmann Stiftung
Schlagwörter: GKV, Finanzierung, Einnahmen, Ausgaben, Demographie, Prognose
Berlin, 9. Oktober 2019 (IGES Institut) - Das geht aus einer Studie des IGES Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hervor. Darin untersuchen IGES-Experten, welche Faktoren die Finanzsituation der GKV in den kommenden Jahren bis 2040 wie stark beeinflussen. Grundlage dafür waren Szenarien unter der Annahme, dass die zukünftige Entwicklung den langfristigen Trends der vergangenen zwanzig Jahre entspricht.
Demnach federn die angesammelten Finanzreserven der GKV künftige Ausgabensteigerungen noch bis zum Jahr 2030 ab. Die IGES-Wissenschaftler gingen in ihrer Prognose von zunächst weiterhin kräftigen Lohnzuwächsen von rund drei Prozent jährlich aus. Als Folge wachsen die Finanzreserven der GKV sogar von aktuell 31 Milliarden Euro auf 44 Milliarden Euro bis 2025 an. Falls sich allerdings die höheren Ausgabenzuwächse der vergangenen sechs Jahre fortsetzen sollten, wären diese Finanzreserven bereits im Jahr 2023 aufgebraucht.
Ab 2026 mehr Ausgaben als Einnahmen in der GKV
Unter der Prämisse jedoch, dass das Ausgabenwachstum wieder dem langfristigen Trend entspricht, setzt eine Trendwende ab dem Jahr 2026 ein. Dann überwiegen laut Prognose die Ausgaben die Einnahmen erstmals um knapp zwei Milliarden Euro. Dieses Missverhältnis würde die Finanzreserven bis zum Jahr 2030 komplett aufzehren. In den Folgejahren würde sich ein jährliches Defizit von anfänglich 15 Milliarden Euro im Jahr 2031 bis auf rund 49 Milliarden im Jahr 2040 ergeben – alles unter der Prämisse konstanter Beitragssätze und dem Ausbleiben von Gegenmaßnahmen.
Um dies zu verhindern, müsste der allgemeine Beitragssatz von derzeit 14,6 Prozent schrittweise auf 16,9 Prozent bis zum Jahr 2040 angehoben werden. Halten jedoch die in den vergangenen Jahren erlebten kräftigen Lohnzuwächse bis zum Jahr 2040 an – in den IGES-Berechnungen mit 2,7 Prozent jährlich angenommen – dann genügt auch eine Beitragssatzanhebung auf nur 15,3 Prozent.
Kommt es allerdings zu einem außergewöhnlich hohen Anstieg des Preisniveaus im Gesundheitswesen (+4,4 Prozent jährlich), könnte sogar eine Beitragsanhebung auf bis zu 18,7 Prozent nötig sein. Das Preisniveau steigt überdurchschnittlich, wenn vermehrt neue und teurere Therapien zum Einsatz kommen, der Behandlungsbedarf der Menschen stark steigt und die Löhne für Beschäftigte im Gesundheitswesen stark wachsen. Derartige Preisschübe gab es im deutschen Gesundheitswesen über einen begrenzten Zeitraum immer wieder und sind somit nicht auszuschließen.
Alternativ könnte aber auch ein höherer Zuschuss des Bundes zur GKV das drohende rund 50-Milliarden-Euro-Defizit mildern. Damit der Beitragssatz bis zum Jahr 2040 lediglich auf 15 Prozent angehoben werden muss, müsste der Bundeszuschuss von 14,5 Milliarden Euro in 2019 auf 70 Milliarden im Jahr 2040 steigen. Das entspricht etwa einem Fünftel der Beitragseinnahmen.
Alterung der Bevölkerung belasten GKV-Ausgaben vergleichsweise gering
Wann die Ausgaben-Einnahmen-Schere genau auseinandergeht, hängt davon ab, wie sich die einzelnen Einflussfaktoren entwickeln. Die Simulationen zeigen, dass vor allem Größen außerhalb des Gesundheitssystems den stärksten Effekt auf die GKV-Finanzlage haben: allen voran die Entwicklung der Löhne und Krankheitslast der Versicherten. Die Alterung der Bevölkerung für sich genommen, also eine stärkere Besetzung der höheren Altersgruppen, wirkt sich hingegen deutlich schwächer aus. So steigen die GKV-Gesamtausgaben aufgrund des demographischen Wandels den Berechnungen zufolge durchschnittlich um 0,4 Prozent pro Jahr. Steigende Preise im Gesundheitswesen führen jedoch – bei Ausbleiben von Gegenmaßnahmen – zu einem Plus bei den Gesamtausgaben von durchschnittlich 2,5 Prozent jährlich.
Die IGES-Wissenschaftler haben auch die Wirkung von ausgabendämpfenden, gesundheitspolitischen Maßnahmen untersucht. Unterstellt man für eine Prognose bis 2040 für einen begrenzten Zeitraum von fünf Jahren einen geringeren preisbedingten Ausgabenanstieg von 0,9 Prozent jährlich, ist eine Anhebung des Beitragssatzes bis auf 15,6 Prozent ausreichend.