Gutachten zeigt aktuelle Situation der stationären Hebammenversorgung

In der anhaltenden Diskussion um die Hebammenversorgung haben Experten nun eine bundesweite Bestandsaufnahme erstellt. Diese bestätigt, dass in Geburtskliniken stellenweise erhebliche Versorgungsengpässe zulasten von Gebärenden und Hebammen existieren. Vor allem in Großstädten treten sie auf. Zudem sind viele Geburtshelferinnen mit ihrer beruflichen Situation aufgrund hoher Arbeitsbelastung unzufrieden und denken an Berufsausstieg. Eine flächendeckende Mangelsituation bei der stationären Geburtshilfe besteht jedoch derzeit nicht. Mütter sind zudem mehrheitlich zufrieden mit der erlebten Hebammenbetreuung.

Titel der Studie: Stationäre Hebammenversorgung

Hintergrund: Die Situation der stationären Hebammenversorgung ist zunehmend in den Fokus der öffentlichen Diskussion geraten. Regionale Untersuchungen berichten von hoher Arbeitsbelastung der Hebammen, teilweisen Versorgungsengpässen oder Schließung von Kreißsälen. Eine aktuelle und vor allem bundesweite Bestandsaufnahme fehlte bislang.

Fragestellung: Besteht in Geburtskliniken ein Hebammenmangel, der die stationäre Versorgung von Schwangeren und Gebärenden beeinträchtigt?

Methode: Längs- und Querschnittstudie auf Basis der Auswertung von Sekundärdaten (u.a. Krankenhausstatistiken, Bevölkerungsstatistiken), Erhebung von Primärdaten (Befragungen von Krankenhäusern, Hebammen, Müttern), Erreichbarkeitsanalysen, Literaturauswertung.

Ergebnisse: Eine flächendeckende Mangelsituation in der stationäre Hebammenversorgung lässt sich aus den Daten nicht ableiten. Auch berichten Mütter mehrheitlich positiv über die erlebte Geburtsbetreuung. Dennoch existieren stellenweise (vor allem in großen Städten) erhebliche Versorgungsengpässe erkennbar an deutlich verschlechterten Betreuungsschlüsseln oder Aufnahmestopps von Kreißsälen. Diese könnten sich künftig aufgrund hoher Geburtenzahlen und dem Berufsausstieg von Hebammen weiter zuspitzen.

Autoren: Dr. Martin Albrecht, Hendrik Bock, Iris an der Heiden, Dr. Stefan Loos, Dr. Richard Ochmann, Dr. Monika Sander, Ender Temizdemir
    
Auftraggeber: Bundesministerium für Gesundheit

Schlagwörter: Hebammen, Versorgungssituation, Geburtskliniken

Berlin, 10. Januar 2020 (IGES Institut) - Das ist das Fazit eines vom Bundesgesundheitsministerium beauftragten Gutachtens des IGES Instituts, das die Situation der Geburtshilfe in Krankenhäusern untersucht. Grundlage waren unter anderem Befragungen von Kliniken, Hebammen und Müttern.

Demnach musste mehr als jede dritte befragte Geburtsklinik im Jahr 2018 mindestens einmal eine Schwangere mit Wehen wegen Personal- oder Raummangels abweisen. Hochgerechnet betraf dies bundesweit knapp 9.000 werdende Mütter, rund 1,1 Prozent aller Geburten im Jahr 2018. Derartige Engpässe treten vor allem in Geburtskliniken in großen Städten auf, während Hebammen in ländlichen Kliniken häufig unterdurchschnittlich ausgelastet sind.

Eine Hebamme für drei Frauen

Auch die Betreuung im Kreißsaal ist oft anders gewünscht. So halten rund 70 Prozent der befragten Hebammen eine Eins-zu-Eins-Betreuung von Gebärenden für angemessen, knapp 30 Prozent auch noch ein Eins-zu-zwei-Verhältnis. Durchschnittlich kümmert sich jedoch eine Hebamme während einer normalen Schicht um drei Frauen gleichzeitig. Etwas günstiger ist das Verhältnis mit 1:2 während der eigentlichen Geburtsphase. Lediglich zwei Prozent müssen in dieser Phase mehr als drei aktiv Gebärende betreuen.

Anders ist jedoch die Lage an besonders regen Tagen mit überdurchschnittlich vielen Geburten. Das betrifft durchschnittlich gut jede vierte Schicht. Dann versorgen 85 Prozent der Hebammen mehr als drei Frauen parallel im Kreißsaal. Selbst nach Beginn der aktiven Geburtsphase ist immer noch ein Drittel der Hebammen für mehr als drei Frauen verantwortlich. Auch dies kommt vor allem in Großstädten und in großen Kliniken vor, und weniger in ländlichen Regionen oder kleineren Kliniken.

Hebammen weisen auf Personalnot hin

Diese Belastungen spiegeln sich auch in der mangelnden Zufriedenheit der Hebammen mit ihrer Tätigkeit wider. Rund die Hälfte ist der Ansicht, dass es zu wenige Hebammen auf ihrer Station gibt. Sie empfinden, zu wenig Zeit für eine adäquate Betreuung von Gebärenden zu haben. 40 Prozent bemängeln, dass zu schnell in den natürlichen Geburtsverlauf medizinisch eingegriffen wird. 70 Prozent fänden es besser, wenn es weniger Geburtseinleitungen oder invasive Maßnahmen gäbe, wozu etwa dauerhafte Zugänge, Dammschnitte oder Öffnung der Fruchtblase zählen. Mit Blick auf operative Maßnahmen ergab die Klinikbefragung, dass durchschnittlich etwa jede siebte Geburt (15 Prozent) mit einem Kaiserschnitt endet.

Jede vierte Hebamme denkt über Berufsaufgabe nach

Auch mit ihrer wirtschaftlichen Situation hadern viele Hebammen: Mehr als jede zweite angestellte Hebamme ist mit ihrem Gehalt unzufrieden bis sehr unzufrieden. Mehr als jede fünfte würde ihren Beruf vermutlich nicht nochmal wählen. Gut 40 Prozent hatten im Verlauf des vorausgegangenen Jahres laut Befragung oft oder sehr oft daran gedacht, Arbeitszeit zu reduzieren. Mehr als ein Viertel erwog sogar einen vollständigen Ausstieg. Als Hauptgründe nannten sie eine zu hohe Arbeitsbelastung (85 Prozent), Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen aufgrund von fachfremden Tätigkeiten wie Reinigung, Hol- und Bringdienste oder Verwaltungsaufgaben (63 Prozent) und ein zu geringes Einkommen (61 Prozent). Die hohe Arbeitsbelastung geben zudem drei von vier Hebammen als Grund an, nicht Vollzeit tätig zu sein. Die Teilzeitquote unter im Krankenhaus tätigen Hebammen ist mit rund 60 Prozent ähnlich hoch wie in der Altenpflege.

Unbesetzte Hebammenstellen auf Geburtsstationen

Für Kliniken ist es häufig schwer, Hebammen zu finden. Mehr als jede zweite befragte Klinik gab dies an. Bei mehr als der Hälfte der Häuser waren rund 18 Prozent der Planstellen für angestellte Hebammen unbesetzt.

Die Mehrheit der Mütter fühlt sich gut durch Hebammen betreut

Überraschend erscheinen in dieser Situation die Eindrücke der Mütter. Fast alle Mütter konnten an ihrem Wunschgeburtsort entbinden. Rund 90 Prozent fühlten sich während der Geburt freundlich und respektvoll von Hebammen betreut. Offenbar schaffen es Hebammen trotz der aus ihrer Sicht gestiegenen Arbeitsbelastung, den Gebärenden eine gute Betreuung zukommen zu lassen. Möglicherweise rechnen die Mütter Zeitnot nicht den Hebammen persönlich zu.
 
Die Zahl der Entbindungen in Krankenhäusern ist zwischen 2010 und 2018 um 14 Prozent auf rund 674.000 gestiegen, wie für das Gutachten ausgewertete Statistiken zeigen. Ähnlich, nur etwas geringer, erhöhte sich auch die Zahl der Hebammen in Geburtskliniken, wobei vor allem der Anteil festangestellter Hebammen zunahm. Rund 11.200 Hebammen waren 2017 dort tätig. Rechnerisch kommt man damit auf 93 jährlich zu betreuende Geburten je vollzeitbeschäftige Hebamme. 2007 waren es noch 89. Leitlinien zufolge gelten 106 Geburten jährlich je Hebamme als Indiz für Vollauslastung.

Keine flächendeckende Überlastungssituation festzustellen

Den Experten zufolge lässt sich daher keine flächendeckende Überlastungssituation feststellen. Allerdings zeigen die Befragungsergebnisse, dass es immer wieder konkrete Versorgungsengpässe in Geburtskliniken gibt. Sichtbar wird dies an schlechten Betreuungsschlüsseln oder Aufnahmestopps von Kreißsälen. Vor allem in Großstädten und in Zeiten mit überdurchschnittlich viel Geburten sind Versorgungsengpässe in Kliniken nicht nur seltene Einzelfälle. In Zukunft könnte sich dies weiter zuspitzen, weil Hebammen ihre Arbeit reduzieren oder aufgeben wollen. Zugleich erwarten 70 Prozent der befragten Kliniken in den kommenden fünf Jahren, mehr Hebammen für die Betreuung zu benötigen, weil mit weiterhin steigenden Geburtszahlen zu rechnen ist.

Die IGES-Gutachter nennen auch Vorschläge zur Verbesserung der Hebammenversorgung. Dazu gehören Zusammenlegungen von unausgelasteten Geburtskliniken, eine stärkere Entlastung der Hebammen von fachfremden Tätigkeiten und eine damit einhergehende bessere Vergütung.