Technikeinsatz in der Pflege: etwas Licht und noch viel Schatten
Erstmals zeigt eine Studie umfassend, wie es aktuell um den Technikeinsatz in der Pflege in Deutschland steht. Erfolge sind danach vor allem im Bereich Verwaltung und Organisation von Pflegeeinrichtungen zu verzeichnen, aber bisher kaum bei direkten pflegerischen Tätigkeiten. Völlig unterentwickelt ist zudem der digitale Austausch mit Ärzten. Zwar sehen viele Einrichtungen den Bedarf einer weiteren Technisierung der Pflege. Mit Blick auf den erwarteten Nutzen sind sie hingegen skeptisch. Als Hemmnisse für mehr Digitalisierung nennen sie Finanzierungsprobleme, den noch unzureichenden Reifegrad technischer Lösungen oder auch den hohen Zeitaufwand für die Einführung neuer Technik.
Berlin, 23. Oktober 2020 (IGES Institut) - Zu diesen Ergebnissen kommt eine repräsentative Befragungsstudie des IGES Instituts, die mit Fördermitteln des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) entstand. Ziel war es, eine Bestandsaufnahme des aktuellen Technisierungsgrades von Pflegeeinrichtungen zu erhalten. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, weitere Entwicklungen oder auch Fördermöglichkeiten besser steuern zu können. Bundesweit haben sich insgesamt 951 voll- und teilstationäre sowie ambulante Einrichtungen an der Untersuchung beteiligt.
Digitalisierung in der stationären Pflege am höchsten
Deutlich wurde, dass die Technikausstattung und –nutzung nach Einrichtungsart variiert und bisher im vollstationären Bereich am höchsten ist. Sie ist jedoch bei allen befragten Einrichtungen in der betrieblichen Organisation und Verwaltung höher als in der pflegerischen Versorgung. So ist etwa das Rechnungswesen inklusive Leistungsabrechnung in allen Einrichtungsarten zu 80 Prozent digitalisiert.
Im Bereich der stationären Pflege sind bisher vor allem technische Hilfen wie Personenlifter oder Aufsteh- und Transferhifen verbreitet. 95 Prozent der Einrichtungen nutzen Lifter und 50 Prozent Transferhilfen, um Pflegekräfte körperlich zu entlasten. Sensor- und computergestützte Systeme etwa zur Sturzerfassung, Aktivitätsmessung oder auch Notrufsysteme kommen bei 30 bis 40 Prozent der Einrichtungen zum Einsatz. Robotik wie Assistenz- oder Serviceroboter, die als Esshilfen dienen oder bei der sozialen Interaktion und Beschäftigung von Pflegebedürftigen unterstützen, werden nur punktuell eingesetzt oder sind in stationären Heimen teilweise noch gänzlich unbekannt.
Digitaler Datenaustausch mit anderen Leistungserbringern kaum vorhanden
Die Studie zeigt, dass es derzeit noch kaum einen digitalen Datenaustausch zwischen Pflegeeinrichtungen und anderen Leistungserbringern gibt. Nur rund 22 Prozent der ambulanten, 17 Prozent der vollstationären und 3 Prozent der teilstationären Einrichtungen kommunizieren regelmäßig mit Ärzten oder anderen Gesundheitsdienstleistern digital. Als Grund nennt die Studie mit Blick auf die Ärzteschaft in erster Linie deren Desinteresse sowie fehlende Anreize oder Verpflichtungen zur digitalen Kommunikation. Interessant ist, dass vor allem kleinere Pflegeeinrichtungen diesbezüglich aktiver als größere Pflegeheime sind. Ursache könnte den Studienautoren zufolge die insgesamt geringere Personalausstattung sein, die zu effizienten Kommunikationsformen zwingt.
Rund jeder zweite ambulante Pflegedienst und drei Viertel der stationären Einrichtungen erkennen es als notwendig an, künftig mehr Technik zu nutzen, wie die Befragung, die Ende 2019/Anfang 2020 durchgeführt wurde, ebenfalls zeigte. Mit Blick auf einen potenziellen Nutzen äußerten sie sich allerdings zurückhaltend: mehr als die Hälfte der Einrichtungen erwarten physische Entlastung ihrer Pflegekräfte, 40 Prozent psychische Entlastung. Nur 20 Prozent gehen davon aus, dass Technik den Personalbedarf senken kann.
Finanzierung derzeit stärkstes Hemmnis für mehr Technik in der Pflege
Größtes Hemmnis für einen stärkeren Technikeinsatz ist laut Befragung die Finanzierung, gefolgt von befürchteten Akzeptanzproblemen bei älteren Beschäftigten und dem erhöhten Zeitaufwand für die Einführung und Schulung. Einrichtungen empfinden zudem technische und digitale Anwendungen noch als zu unausgereift oder sorgen sich um fehlende Interoperabilität. Eine geringe Rolle spielt hingegen, dass sie mangelnde Akzeptanz bei Pflegebedürftigen befürchten.
Seit Januar 2019 können Pflegeeinrichtungen Fördermittel für die Anschaffung digitaler und technischer Ausrüstung beantragen. Das geht auf das Pflegepersonen-Stärkungsgesetz (PpSG) zurück. Diese Option ist laut Befragung bei den Einrichtungen weitgehend, allerdings noch nicht flächendeckend bekannt. 70 Prozent wollen dies künftig nutzen. Allerdings schätzt fast jede zweite Einrichtung das Antragsverfahren als zeitaufwändig oder kompliziert ein. Zudem stufen sie die maximale Förderhöhe von bis zu 12.000 Euro je Pflegeeinrichtung als zu gering ein. Die Fördermittel wurden bisher vor allem abgerufen, um überhaupt erst einmal eine IT-Infrastruktur zu schaffen, was den Nachholbedarf der Branche belegt, heißt es in der Studie.