IGES-Symposium zum künftigen Klinikmarkt: Krankenhäuser sollten Strukturwandel selbst vorantreiben
Kliniken sollten Experten zufolge proaktiver und mutiger über Kooperationen und Fusionen oder sogar Standortschließungen nachdenken. Auch kartellrechtlich sei dies oftmals viel einfacher als allgemein gedacht. Zur Vorbereitung stünden hilfreiche Analyseinstrumente mit guten Daten bereit, um die aktuelle Marktsituation und künftige Potenziale neuer Standorte zu ergründen. So könnten Krankenhäuser selbst aktiver den Strukturwandel des stationären Sektors gestalten.
Berlin, 30. November 2020 (IGES Institut) - Das sind die Ergebnisse eines digitalen IGES-Symposiums mit Klinikexperten im Rahmen des Nationalen Qualitätskongress 2020. Prof. Dr. Thomas Mansky, ehemaliger Leiter des Fachgebiets Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen der Technischen Universität Berlin, beschrieb in seinem Einführungsvortrag die strukturellen Herausforderungen der Kliniken. Die Leistungsangebote müssten nach epidemiologischen Kriterien auf den realen Bedarf in der Region abgestimmt werden und die qualitätssichernden Mindestmengen überschreiten. Allein unter diesen Gesichtspunkten erwiesen sich laut Mansky heute bereits viele Angebote als fehlorientiert. Die Mehrzahl der Krankenhäuser sei zu klein. Mehr als 1.000 Allgemeine Krankenhäuser hätten weniger als 300 Betten. Kooperationen seien zwar gut, lösten aber das grundsätzliche Strukturproblem nicht.
Klinikgroßprojekte kommen bei Politik und Kassen gut an
Manskys Rat: "Think big! Tun Sie sich zusammen und überlegen sie, wie Sie aus zwei oder drei Standorten einen zukunftsfähigen neuen Standort machen könnten.“ Er ermutigte dazu, auch Neubauten zu planen. „Große“ Konzepte mit höherer Leistungsfähigkeit kämen bei Politik und Kostenträgern gut an. Ein positives Beispiel sei die Fusion der beiden renovierungsbedürftigen Flensburger Krankenhäuser zu einem neuen Zentralklinikum im Norden Schleswig-Holsteins. Geplant sei ein Neubau mit rund 1000 Betten bis 2027. Das Land habe die Fusion begrüßt und die Investitionsförderung davon abhängig gemacht. Seine abschließende Botschaft: Kliniken sollten aktiv und mutig neue Strukturen gestalten und nicht abwarten bis es zu spät sei.
Uwe Wellmann, LL.B. DLS (London), Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und Partner bei BEITEN BURKHARDT, beschrieb die Bedeutung des Kartellrechts für Fusionen und Kooperationen. Ziel der Fusionskontrolle des Kartellamtes sei die Förderung des Qualitätswettbewerbs im Interesse der Patienten.
Nicht nur wettbewerbskritische Fälle müssten angemeldet werden. Dabei prüfe das Amt einerseits den „sachlich relevanten Markt“. Berücksichtig würde dabei nur das Angebot für akutstationäre Krankenhausleistungen „ohne Untergliederung nach Fachabteilungen, Versorgungstiefe oder Dringlichkeit“. Andererseits gehe es um die räumliche Marktabgrenzung, die im Regelfall zu „relativ engen Regionalmärkten“ führe.
Klinik-Transaktionen mehrheitlich vom Bundeskartellamt genehmigt
Zwischen 2003 und Oktober 2020 seien 331 Transaktionen vom Bundeskartellamt geprüft worden. Davon seien nur weniger als fünf Prozent untersagt oder zurückgezogen worden. Eine interessante Ausnahme eröffne die 10. GWB-Novelle (GWB - Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen): Fusionsbeschränkungen seien nicht anzuwenden, wenn – befristet bis Ende 2025 – Krankenhäuser aus Mitteln des Krankenhausstrukturfonds gefördert werden. Abschließend gab Wellmann den Hinweis, dass auch Kooperationen kartellrechtlich geprüft werden müssten. Das Bewusstsein der Meldepflicht von Kooperationen sei jedoch häufig nicht vorhanden.
Mit Datenanalysen Klinikstandorte neu planen
Sebastian Irps, Geschäftsführer des Klinikberatungsunternehmens IMC clinicon, das zur IGES Gruppe gehört, zeigte, wie Datenanalysen helfen können, die Veränderungspotenziale von Krankenhäusern offenzulegen. Ein Strukturwandel sollte in vier Schritten ablaufen. Zunächst müssten die Ziele geklärt werden und anschließend eine Analyse der aktuellen Situation anhand der Leistungsprofile und des wettbewerblichen Umfelds erfolgen. Als Drittes stehe eine möglichst genaue Prognose der mittel- und langfristigen Versorgungsbedarfe an sowie abschließend die konkrete Planung der künftigen Leistungsangebote und Infrastruktur.
„Unsere Datenbank kennt alle Krankenhäuser mit allen relevanten Merkmalen und kann sie nach unterschiedlichen Gruppierungslogiken analysieren“, so Irps. Am Beispiel von zwei Fusionen demonstrierte der IMC-Chef, was sich daraus für die Fachabteilungen, die Leistungsschwerpunkte, die Qualitätsentwicklung auch mit Blick auf Mindestmengen und die künftige Bettenauslastung bis 2035 ergibt. In Bezug auf das regionale Behandlungspotenzial könnten die Erreichbarkeit der Standorte und die Leistungsschwerpunkte der Mitbewerber analysiert werden. Möglich seien auch risikoadjustierte Prognosen zum Bettenbedarf der Fachbereiche. Auf Basis dieser Datenanalysen könnten etwa Zusammenlegungen von Abteilungen oder Flächenbedarfe für Neu- und Umbauten zielgenau geplant werden.
Ambulantes Versorgungsangebot bei Klinikfusionen mit bedenken
Zum Abschluss berichtete Dr. Hans-Peter Schlaudt, Geschäftsführender Partner der JOMEC Beratungs-GmbH, Berlin, über ein erfolgreiches Fusionsprojekt im Landkreis Waldshut. Die Rahmenbedingungen im ländlichen Raum seien dabei grundlegend andere als in Ballungsgebieten. Man müsse stets das ambulante Versorgungsangebot mitberücksichtigen. Die Vernetzung in der Region sei ein entscheidender Erfolgsfaktor. Die Krankenhäuser sollten sich daher über Medizinische Versorgungszentren (MVZ) an der ambulanten Versorgung beteiligen. Auch in der Fläche müsse attraktive Medizin angeboten werden. Sonst bekomme das Krankhaus keine qualifizierten Ärzte. Zudem sei es nötig, sich systematisch um die Einweiser zu kümmern und die niedergelassenen Ärzte einzubinden.
Bei der Frage Grundversorgung versus Spezialisierung müsse man sinnvolle strategische Optionen erarbeiten. Schlaudt: „Welche Themen lohnen sich und welche nicht? Bei 160.000 Einwohnern im Kreis lohnt es sich etwa nicht, ein Mammazentrum aufzubauen.“ Die wichtigsten Anforderungen für Fusionsprojekte seien laut Schlaudt: Prozesse richtig zu steuern, die Kommunikation zu lenken und die Stakeholder zu überzeugen. Auch Mitarbeiter sollten eingebunden und ihre Familien als Multiplikatoren für die gesamte Region genutzt werden.
Nationaler Qualitätskongress 2020
Digitales IGES-Symposium
Themen und Referenten:
Kann der stationäre Sektor durch die Krankenhäuser selbst reformiert werden?
Freitag, 27. November 2020, 08:00 - 09:00
Teilnehmer und Beiträge:
Moderation: Dr. Martin Albrecht, Geschäftsführer und Bereichsleiter Gesundheitspolitik, IGES Institut, Berlin
Einführungsvortrag: Medizinischer Fortschritt erzwingt Restrukturierung des Krankenhausmarktes in Deutschland
Prof. Dr. Thomas Mansky, ehem. Leiter Fachgebiet Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen, Technische Universität, Berlin
Impulsvortrag: Verhindert das Kartellrecht Fusionen und Kooperationen von Krankenhäusern?
Uwe Wellmann, LL.B. DLS (London)
Impulsvortrag: Wie Datenanalysen helfen, Konsolidierungspotenziale von Krankenhäusern offenzulegen
Sebastian Irps, Geschäftsführer IMC clinicon, Berlin
Impulsvortrag: Wie Krankenhäuser erfolgreich auf strukturelle Herausforderungen reagieren können
Dr. Hans-Peter Schlaudt, Geschäftsführender Partner, JOMEC GmbH, Berlin
Der von der Gesundheitsstadt Berlin GmbH veranstaltete Kongress fand 2020 ausschließlich digital statt.