Häussler: Temporär hohe Preise sichern langfristig global kostengünstige Versorgung mit Arzneimitteln
Die Preisbildung bei Medikamenten mit temporär hohen Preisen sichert Menschen weltweit die langfristige Versorgung mit günstigen Arzneimitteln. Darauf wies der Chef des IGES Instituts, Professor Bertram Häussler, auf der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates hin. Dahinter stehe ein historisch gewachsenes System zwischen öffentlichen Institutionen und privaten Unternehmen. Dieses garantiere Herstellern zeitlich begrenzt hohe Preise und zugleich die Kostenübernahme neuer Therapien durch Sozialversicherungen. So könne die Innovationstätigkeit refinanziert werden, die Staaten selbst nicht leisten könnten. Eine Alternative dazu sei derzeit nicht in Sicht.
Berlin, 22. Juni 2022 (IGES Institut) – „Die heutige Gestaltung der Pharmapreise ist das Kernstück für eine dauerhaft günstige Versorgung mit Arzneimitteln. Nur so ist ein ständiger Strom an neuartigen Wirkstoffe möglich, durch den das Welterbe der Pharmazie stetig wächst“, sagte Häussler in einem Vortrag zur Eröffnung der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates in Berlin. Das Thema der diesjährigen Veranstaltung lautete „Hohe Preise – Gute Besserung? Wege zur gerechten Preisbildung bei teuren Arzneimitteln.“
Wachsendes Welterbe der Pharmazie
Derzeit würden nach Angaben der Europäischen Arzneimittelagentur EMA im Mittel rund 37 neuartige Wirkstoffe pro Jahr zugelassen werden, so Häussler. An der Spitze stehen Krebsmittel, gefolgt von antiviralen Mitteln. Die Covid 19-Pandemie habe zudem Impfstoffe auf Platz vier der häufigsten Neuentwicklungen gebracht. Weltweit wachse das Welterbe der Pharmazie jährlich um zwei Prozent.
Aufschläge für Forschung und Entwicklung
Entscheidend für diesen Zuwachs sei laut Häussler der zeitlich begrenzte, staatlich gesicherte Schutz neuer Produkte vor Nachahmung. In dieser Zeit könnten die Unternehmen Aufschläge auf die reinen Produktionskosten verlangen, um Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) zu refinanzieren. Häussler zufolge betragen die F&E-Aufwendungen im Mittel 1,4 Milliarden Dollar pro neuer Substanz. Internationalen Statistiken zufolge genießen in der EU 96 Prozent der Produkte eine Marktexklusivität von mindestens zehn Jahren. IGES-Analysen zeigen aber, dass im Mittel bereits sechs Jahre nach Markteintritt der Höhepunkt der Einnahmen überschritten ist.
Hohe Preise bei wenigen Patienten
Die Höhe der Anfangspreise neuer Präparate beeinflussten laut Häussler vor allem zwei Faktoren: die Zahl erwarteter Patienten und der Häufigkeit der Anwendung: „Arzneimittel sind teuer, wenn sie selten angewandt werden und exklusiv auf dem Markt sind. Sie sind billig, wenn sie ohne Patentschutz von vielen Menschen häufig eingenommen werden.“ Dies erkläre auch die häufig in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten extrem hohen Preisunterschiede. So gäbe es die Injektion für zwei Millionen Euro, etwa für eine einmal im Leben verabreichte Gentherapie, aber auch Präparate für nur wenige Cent, etwa zur Behandlung von Volkskrankheiten.
Preisrückgänge von mehr als 90 Prozent
Entscheidend sei laut Häussler, was nach dem Ende der Exklusivität geschehe und der generische Wettbewerb einsetzt: „Generika führen häufig zu Preisabfällen von 90 Prozent und mehr. Die Hälfte der jährlich in Deutschland verbrauchten Tagesdosen, die Apotheken abgegeben, kostete 2021 im Mittel nur vier Cent.“ Bei dem am häufigsten verordneten Medikament, dem Blutdrucksenker Ramipril, sei es sogar ein Cent und weniger.
„Marktexklusivität und temporär hohe Preise ermöglichen eine langfristig global kostengünstige Versorgung mit Arzneimittel“, betonte Häussler. Die Arzneimittelhersteller übernehmen dadurch den Ausbau einer globalen pharmazeutischen Infrastruktur, den staatliche Institution gar nicht leisten könnten. Eine Alternative zu diesem Modell sei derzeit nicht in Aussicht.