Experten: Erfahrungen anderer Länder zur Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin in Deutschland nutzen

Deutschland hat einen der geringsten Hausarztanteile an allen Ärztinnen und Ärzten und eine der niedrigsten Weiterbildungsquoten in der Allgemeinmedizin. Trotz langjähriger finanzieller und struktureller Förderung der allgemeinmedizinischen Weiterbildung steigt die Zahl der Ärztinnen und Ärzte mit einer entsprechenden Facharztprüfung nur allmählich. Damit können noch nicht einmal die altersbedingten Abgänge aus der Versorgung kompensiert werden. Um die Zahl neu ausgebildeter Hausärztinnen und -ärzte zu steigern, könnte Deutschland von den Erfahrungen seiner Nachbarländer lernen.

Titel der Studie: Untersuchung zur Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin im internationalen Vergleich

Hintergrund: Trotz langjähriger finanzieller und struktureller Förderung der allgemeinmedizinischen Weiterbildung steigt die Zahl der Ärztinnen und Ärzte mit einer entsprechenden Facharztprüfung nur allmählich. Altersbedingte Abgänge aus der hausärztlichen Versorgung können schon länger nicht mehr kompensiert werden. Dies und der demographisch bedingte, steigende medizinische Versorgungsbedarf verschärfen den Hausarztmangel weiter.

Fragestellungen: Wie ist die allgemeinmedizinische und hausärztliche Versorgung in ausgewählten Nachbarländern Deutschlands organisiert? Welche Faktoren beeinflussen bei dortigen Medizinabsolventen die Entscheidung für einen hausärztlichen Berufsweg? Welchen Einfluss hat die generelle Rolle der Hausärzte in den jeweiligen Versorgungssystemen?

Methode: Auswahl von Vergleichsländern mit höheren Hausarztanteilen an allen Ärzten als in Deutschland (Belgien (Flandern), Frankreich, Niederlande, Österreich, Schweiz); Entwicklung einer Systematik zur Beschreibung des dortigen Versorgungssystems und der Weiterbildung Allgemeinmedizin; Internet-, Literatur-, Datenbankrecherchen; Experteninterviews, schriftliche Anfragen.

Ergebnisse: In den meisten Vergleichsländern sind die Weiterbildungszeiten kürzer und stärker curricular strukturiert. Hausärztliche Themen sind bereits im Studium fest verankert, in Frankreich, den Niederlanden und Belgien sind die Weiterbildungsplätze für alle Fächer quotiert. Grundlage hierfür bilden Systeme der prospektiven Ermittlung und Planung der für die Versorgung der Bevölkerung benötigten Kapazitäten.

Autoren: Hans-Dieter Nolting, Karsten Zich, Prof. Dr. med. Hendrik van den Bussche (✝) (Ehemaliger Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf)
    
Auftraggeber: GKV-Spitzenverband

Schlagwörter: Allgemeinmedizin, Weiterbildung, hausärztliche Versorgung, Ländervergleich, Erfolgsfaktoren

Veröffentlichung: Dezember 2023

Berlin, 1. Dezember 2023 (IGES Institut) - Das zeigt eine Studie des IGES Instituts für den GKV-Spitzenverband, die in Kooperation mit Prof. Hendrik van den Bussche (✝) erstellt wurde. Sie untersucht, wie andere Länder vorgehen, um die benötigte Zahl an Hausärztinnen und Hausärzten zu gewinnen und zu qualifizieren. Ausgewählt wurden dafür fünf Nachbarländer, die über grundsätzlich gut vergleichbare Gesundheitssysteme verfügen und mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind wie Deutschland: ein hoher Anteil von älteren Hausärzten und bei den nachwachsenden Ärztegenerationen ein ausgeprägter Trend zu angestellter Tätigkeit in Teilzeit. Im Fokus der Studie stehen Belgien (Flandern), Frankreich, die Niederlande, Österreich und die Schweiz.

Nachbarländer erreichen höhere Anteile an Hausärzten

So erreichen etwa die Niederlande oder Frankreich Anteile von allgemeinmedizinischen Weiterbildungsabschlüssen an allen Facharztanerkennungen von 33 Prozent und 40 Prozent. In Deutschland liegt dieser Anteil bei 13 Prozent. Alle Vergleichsländer weisen einen höheren Anteil von Hausärzten an allen Ärzten auf: Belgien und Frankreich kommen z.B. auf 37 Prozent und 44 Prozent, während der Anteil in Deutschland nur bei 21 Prozent liegt.

Auffällig ist, dass die besonders erfolgreichen Vergleichsländer hausärztlichen Themen bereits im Medizinstudium breiteren Raum einräumen und während dieser Zeit auch Phasen in hausärztlichen Praxen obligatorisch sind.

Allgemeinmedizinische Weiterbildungszeiten im Ausland kürzer

In allen untersuchten Ländern mit Ausnahme der Schweiz sind die formalen und auch die faktischen Weiterbildungszeiten kürzer als in Deutschland, sodass sich die Ärztinnen und Ärzte früher vollumfänglich an der Versorgung der Bevölkerung beteiligen können.

Insbesondere eine stärker curricular strukturierte Weiterbildung ist laut der IGES-Untersuchung ein zentraler Erfolgsfaktor für die allgemeinmedizinische Weiterbildung und deren zügiges Durchlaufen. In Frankreich, Belgien und den Niederlanden werden Ärztinnen und Ärzte im Verlauf der allgemeinmedizinischen Weiterbildung zudem fachlich intensiv begleitet und koordinierend unterstützt. Der persönliche Weiterbildungsfortschritt wird ebenso wie die Qualität der Lehre systematisch evaluiert und auch die Weiterbildenden werden durch Qualifizierungsmaßnahmen und Akkreditierungen gezielt auf die besonderen Aufgaben im Rahmen der Weiterbildung vorbereitet.

Quotierung der Weiterbildungsplätze stärkste Maßnahme

Der stärkste Hebel zur Erhöhung der Zahl ausgebildeter Hausärztinnen und -ärzte ist laut den Autoren eine bessere Planung der benötigten ärztlichen Kapazitäten sowie eine darauf aufbauende Quotierung der jährlich angebotenen Weiterbildungsplätze. So erfolgen die Planung und Bereitstellung der Weiterbildungsstellen etwa in Belgien und den Niederlanden differenziert nach den einzelnen Fachrichtungen und in Frankreich zudem auch regionsbezogen.

Strategie für hausärztliche Versorgung in Deutschland nötig

Deutschland benötige, so die Studienautoren, dringend eine mittelfristige Strategie für die primäre, hausärztliche Versorgungsebene, um die Rolle und Rahmenbedingungen des zukünftigen Wirkens von Hausärztinnen und -ärzten zu definieren. Ziel muss es sein, die Attraktivität der allgemeinmedizinischen Arbeit für die junge Ärztegeneration durch den Ausbau ihrer Funktionen im Versorgungssystem zu erhöhen. Dafür spricht nicht zuletzt der Befund, dass die hausärztliche Berufslaufbahn besonders in jenen Ländern attraktiver zu sein scheint, in denen die Hausärztinnen und -ärzte konsequenter als hierzulande als erste Anlaufstelle und als Koordinatoren der Versorgung für ihre Patientinnen und Patienten fungieren können.

Grundsätzlich sollten Planungsinstrumente entwickelt werden, die eine Abschätzung des erwarteten Bedarfs an Nachwuchs in den einzelnen Fachgebieten ermöglichen. Hierbei kann und sollte auf den langjährigen Erfahrungen der Nachbarländer aufgebaut werden.

Bestehende Kompetenzzentren Weiterbildung stärker nutzen

Viele der in der Studie ausgemachten Erfolgsfaktoren anderer Länder, die eine hausärztliche Berufslaufbahn attraktiv machen, ergeben sich aus der Gestaltung der allgemeinmedizinischen Weiterbildung. Die Studienautoren sehen darin plausible Anknüpfungspunkte zu den in Deutschland inzwischen gut etablierten Kompetenzzentren Weiterbildung, die bereits jetzt für Ärztinnen und Ärzte in allgemeinmedizinischer Weiterbildung begleitende Seminare und Mentoring offerieren. Diesen Kompetenzzentren könnte in Anlehnung an die Vorbilder aus den benachbarten Ländern eine bedeutsamere Rolle in der allgemeinmedizinischen Weiterbildung zuwachsen. Weitere Anknüpfungspunkte zu diesen, in aller Regel an den universitären Instituten für Allgemeinmedizin beheimateten Kompetenzzentren Weiterbildung, werden bei der spezifischen Fortbildung und Begleitung der Weiterbildungsbefugten gesehen, für die sie bereits Train-the-Trainer-Fortbildungen anbieten.

Rahmenbedingungen für Weiterbildungstätigkeit verbessern

Mit Blick auf die möglicherweise künftig schmaler werdende Basis für die Gewinnung von praktizierenden Hausärztinnen und -ärzten als Weiterbildende sollte zudem geprüft werden, wie die Rahmenbedingungen beziehungsweise die Kompensationen einer Weiterbildungstätigkeit attraktiver gestaltet werden können. Auch hier haben sich in einzelnen der untersuchten Länder offenbar zielgerichtete Ansätze bewährt.