Belastung durch mobile Erreichbarkeit im Job: selten, aber risikoreich
Psychische Erkrankungen als Ursache von Krankschreibungen am Arbeitsplatz nehmen seit Jahren zu. Aber entgegen der aktuellen Diskussion sind die Bedingungen der modernen Arbeitswelt wie die vermehrt genutzte mobile Kommunikation bei weitem nicht der einzige Grund. Vielmehr sind Hausärzte und Patienten gegenüber psychischen Erkrankungen sensibler. Sie sprechen häufiger über derartige Krisen, die zudem häufiger als früher als krankheitswertig betrachtet werden und somit häufiger als früher zu Krankschreibungen führen.
Berlin, 26. Februar 2013 (IGES Institut) - Das geht aus dem aktuellen DAK Gesundheitsre-port 2013 hervor, für den Wissenschaftler des IGES Instituts die Krankschreibungen von 2,7 Millionen erwerbstätigen DAK-Versicherten ausgewertet haben.
Psychische Erkrankungen lagen mit einem Anteil von rund 15 Prozent beim Krankenstand 2012 erstmals an zweiter Stelle. Im Vergleich zum Vorjahr gab es 2012 einen leichten Anstieg sowohl der Fälle (von 6,0 auf 6,1 Fälle pro 100 Versichertenjahre) als auch der Arbeitsunfähigkeitstage (von 196 auf 204 Tage pro 100 Versichertenjahre). Jede siebzehnte Frau, und jeder dreißigste Mann war 2012 wegen einer psychischen Diagnose krank geschrieben. Als Ursache für Arbeitsunfähigkeit nehmen diese Erkrankungen seit etwa 15 Jahren kontinuierlich zu.
Nur jeder Dritte wird außerhalb der Arbeitszeit angerufen
Eine repräsentative Befragung von über 3.000 Beschäftigten im Rahmen des Reports stellt die Anforderungen der modernen Arbeitswelt ins Verhältnis zu anderen Ursachen für Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen. So sind berufliche Telefonate außerhalb der Arbeitszeit sehr viel seltener, als die öffentliche Debatte vermuten lässt. Zwar haben neun von zehn Arbeitnehmern (87,3 Prozent) ihre Telefonnummern beim Arbeitgeber hinterlegt und sind dadurch grundsätzlich erreichbar. Das wird aber offenbar wenig genutzt. Denn über die Hälfte (51,7, Prozent) der Befragten werden nie von Kollegen oder Vorgesetzten außerhalb der Arbeitszeit angerufen. Nur ein knappes Drittel ist gelegentlich (seltener als einmal pro Woche) mit Anrufen von Kollegen und Vorgesetzten konfrontiert.
Ständige Erreichbarkeit führt zu Depressionen
Fast jeder Sechste wird jedoch einmal pro Woche oder öfter außerhalb der Arbeitszeit angerufen. Alarmierend ist, dass schon ein mittleres Ausmaß an Erreichbarkeit (bis zu einmal pro Woche) nach Feierabend mit einem erhöhten Risiko verbunden ist, an einer psychischen Störung zu erkranken. Noch höher ist das Gesundheitsrisiko für die etwa acht Prozent der ständig erreichbaren Mitarbeiter: Jeder Vierte von ihnen leidet unter einer Depression.
Burnout seltener als gedacht
In seiner Häufigkeit überschätzt wird zudem der viel diskutierte Burnout. Ärzte können dies als Zusatzdiagnose auf der Krankmeldung meist ergänzend bei Depressionen und Anpassungsstörungen vermerken. Insgesamt werden durch diese ergänzende Codierung Krankschreibungen mit einem Volumen von etwa zehn Ausfalltagen pro 100 Erwerbstätige begründet. Depressionen verursachen hingegen mit 85 Fehltagen pro 100 Arbeitnehmer mehr als acht Mal so viele Ausfalltage. Nützlich sei die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber dem Burnout vielleicht trotzdem. Denn sie helfe vielen Arbeitnehmern, psychische Beschwerden zu artikulieren, auch solchen, die ohne diesen Begriff das Thema meiden würden, schreiben die IGES-Wissenschaftler in dem Report.
Die Häufigkeit psychisch begründeter Arbeitsunfähigkeit (AU) haben die Experten auch epidemiologisch abgeglichen. Danach sind psychische Erkrankungen einerseits noch häufiger, als aufgrund der AU-Daten anzunehmen wäre: In der Allgemeinbevölkerung leidet etwa jede dritte Frau und jeder vierte Mann innerhalb eines Jahres wenigstens einmal unter einer psychischen Störung. Andererseits zeigen Studien: Es hat in den letzten zehn bis 15 Jahren vermutlich keinen Anstieg des Vorkommens psychischer Erkrankungen gegeben - mit Sicherheit gab es keinen Anstieg, der auch nur annähernd dem Anstieg der Arbeitsunfähigkeiten wegen psychischer Diagnosen entspräche.
Im Jahr 2012 ist der Krankenstand nach dem leichten Anstieg im Vorjahr um 0,1 Prozentpunkte gesunken. Er lag bei 3,8 Prozent (2011: 3,9 Prozent). Die Betroffenenquote lag 2012 bei 47,9 Prozent. Dies bedeutet, dass für 52,1 Prozent der DAK-Mitglieder keine Arbeitsunfähigkeitsmeldung vorlag. Im Jahr 2012 ist die Betroffenenquote somit leicht gesunken (2011: 48,2 Prozent).
Muskel-Skelett-Erkrankungen erneut größter Anteil am Krankheitsgeschehen
Auf Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, Psychische Erkrankungen sowie Erkrankungen des Atmungssystems entfielen 2012 mehr als die Hälfte (52,1 Prozent) aller Krankheitstage. Die Spitze machten die Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems mit 325,9 Arbeitsunfähigkeitstagen (AU) pro 100 Versichertenjahre aus.