Whitepaper: molekulare Diagnostik bei nicht-kleinzelligem Lungenkrebs verbessern

Mehr Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs könnten von zielgerichteten Therapien profitieren. Dafür müsste jedoch die notwendige molekulare Diagnostik ausgeweitet und optimiert werden. Eine Reflextestung, eine automatische Testung bei jeder Neudiagnose, existiert in Deutschland derzeit nicht und wird als möglicher Lösungsansatz diskutiert. Ein Runder Tisch könnte den Weg dorthin ebnen und helfen, bestehende Hindernisse der molekularen Diagnostik bei nicht-kleinzelligem Lungenkrebs zu überwinden.

Berlin, 18. Oktober 2024 (IGES Institut) - Das ist das Fazit eines Whitepapers, das sich mit der derzeitigen Situation der molekularen Diagnostik bei der häufigsten Lungenkrebsart, dem nicht-kleinzelligen Lungenkrebs (engl. non-small cell lung cancer, NSCLC), beschäftigt. Zum Autorenteam gehören Wissenschaftlerinnen des IGES Instituts sowie Dr. Markus Thalheimer, Leiter des Bereichs Erlösmanagement am Universitätsklinikum Heidelberg, Prof. Ludger Fink, Gesellschafter des ÜGP MVZ Institut für Pathologie, Dermatopathologie, Zytologie und Molekularpathologie in Wetzlar, sowie Prof. Frank Griesinger, Direktor der Klinik für Hämatologie und Onkologie der Universitätsmedizin Oldenburg.

Expertengremium sollte bundesweite Standards für Testung setzen

Aus dem in dem Whitepaper vorgeschlagenen Runden Tisch heraus könnte zudem ein interdisziplinäres Expertengremium entstehen, das bundesweit Standards für eine Reflextestung entwickelt und diese vor allem regelmäßig und schnell aktualisiert. Dies ist nötig, da sich die Therapielandschaft kontinuierlich verändert, weil neue biologische Merkmale der Tumorzellen und damit weitere, gezielte Angriffsstellen für Medikamente entdeckt werden. Derzeit existieren für etwa 40 Prozent der Patienten mit NSCLC zielgerichtete Therapieoptionen im Rahmen der klinischen Routine.

Zudem fehlen bei der molekularen Testung noch immer standardisierte und qualitätsgesicherte Prozesse für alle Phasen der Diagnostik und für alle Patienten: Das betrifft etwa die Probengewinnung und -aufbereitung, den Probentransport und die Testdurchführung sowie die einrichtungsübergreifende Bewertung der Testergebnisse unter Einbezug der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Gebiet. Erschwerend kommen unterschiedliche Vergütungssystematiken zwischen Klinik und ambulanter Versorgung hinzu.

Immer mehr Testungen auch in Frühstadien des NSCLC

Den derzeitigen Leitlinien zufolge sollten alle Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC auf alle therapierbaren genetischen Auffälligkeiten der Tumorzellen getestet werden. Die Testraten unter diesen Patienten steigen zwar seit Jahren, umfassen jedoch verschiedene Biomarker und Krankheitsstadien. Studien geben Quoten von 26 Prozent bis 90 Prozent an. Zunehmend wird aber auch eine Testung in früheren Stadien relevant, da entsprechend zielgerichtete Therapien zunehmend auch in frühen Stadien zur Verfügung stehen werden.

Eine Reflextestung geht einen Schritt weiter und sieht eine Testung aller Patienten mit NSCLC vor, unmittelbar initiiert vom diagnostizierenden Pathologen. Zu den medizinischen Vorteilen gehören die Erhöhung der Testraten, die Verkürzung der Zeit bis zum Therapiebeginn, aber auch längeres Gesamtüberleben und verbesserte Lebensqualität der Patienten. Das zeigen die für das Whitepaper ausgewerteten Studien und betonen die eingebundenen Mediziner.

Einbezug von Biomarkern aus frühen Phasen der Entwicklung

Das neu zu etablierende Expertengremium sollte festlegen, welche Biomarker die Reflextestung umfasst, heißt es in dem Whitepaper. Wichtig wäre es, dabei nicht nur Biomarker einzubeziehen, für die zugelassene Medikamente existieren, sondern auch jene, für die sich neue Präparate kurz vor der Zulassung oder sogar noch in der Phase der Entwicklung befinden. Dies könnte schwer therapierbaren Patienten Behandlungsoptionen durch die Teilnahme an klinischen Studien eröffnen.

Positiv stellt sich die Situation bereits im nationalen Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) Lungenkrebs dar. In diesem Verbund sind schon umfassende Qualitätssicherungsmaßnahmen etabliert und eine sektorenunabhängige Vergütung durch eine selektivvertragliche Lösung besteht. Allerdings profitieren noch nicht alle Patienten regelhaft von der nNGM-Versorgung.

Basis des Whitepapers waren Literaturrecherchen und Erkenntnisse aus einem Dialog mit relevanten Akteuren der Versorgung sowie mit Patientenvertretern. Der Bericht entstand mit finanzieller Unterstützung des Unternehmens Novartis Pharma.

In Deutschland erkranken jährlich etwa 60.000 Menschen neu an Lungenkrebs, mit steigender Tendenz. Bei Frauen ist Lungenkrebs nach Brustkrebs die zweithäufigste, bei Männern die häufigste krebsbedingte Todesursache. Bei knapp 80 Prozent wird ein NSCLC diagnostiziert, meist im fortgeschrittenen Stadium.