Expertenveranstaltung: Wie eine effizientere und leistungsfähigere Gesundheitsversorgung möglich ist
Ergänzend zum bereits vorliegenden Forschungsbericht "Effizientere und leistungsfähigere Gesundheitsversorgung als Beitrag für eine tragfähige Finanzpolitik in Deutschland" im Auftrag des Bundesministeriums für Finanzen, haben die Autoren und Ko-Referenten die erarbeiteten Ergebnisse im Rahmen einer Fachveranstaltung vorgestellt und mit Fachleuten diskutiert.
Berlin, 11. September 2009 (IGES Institut) - Das IGES Institut sowie Prof. Rürup, Prof. Wille, das DIW e.V. und DIW econ GmbH haben im Auftrag des Bundesfinanzministeriums eine Forschungsarbeit mit dem Titel "Effizientere und leistungsfähigere Gesundheitsversorgung als Beitrag für eine tragfähige Finanzpolitik in Deutschland" erarbeitet.
Die Ergebnisse des Forschungsberichts wurden im Rahmen eines halbtägigen Expertenworkshops präsentiert und diskutiert. Die Präsentationen dieses Workhops bieten wir Ihnen hier als Download an.
Details zum Forschungsbericht
Gesundheitsreformen im Sinne der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sollten denjenigen Anteil an den Ausgabensteigerungen beseitigen, der seine Ursachen in effizienzmindernden Organisations- und Anreizstrukturen hat. Ein effektiver Weg, diesen ineffizienten Anteil der Ausgabenentwicklung zu adressieren, ist ein funktionsfähiger Wettbewerb zwischen den Leistungsanbietern einerseits und den Krankenkassen andererseits.
Im internationalen Vergleich nimmt das deutsche Gesundheitssystem bei den Ausgaben je Einwohner zwar keine Spitzenposition ein. Die Dringlichkeit, vorhandene Effizienzpotentiale zu erschließen, wächst aber mit steigenden Ansprüchen der Bevölkerung an die Gesundheitsversorgung und zunehmenden Verteilungskonflikten, die angesichts begrenzter Ressourcen drohen.
Vor diesem Hintergrund und auf der Grundlage eingehender Analysen kommt der vorliegende Bericht zu folgenden Empfehlungen:
- Mehr Preiswettbewerb im Krankenhaus: Gut organisierte Krankenhäuser sollten die Möglichkeit haben, ihre überdurchschnittliche Wirtschaftlichkeit in Form von Preissenkungen transparent zu machen, um damit Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Krankenhäuser sollten auf die einheitlichen Fallpauschalen sowohl Abschläge einräumen als auch Aufschläge fordern können. Aus Gründen der Markttransparenz sollten dagegen keine Abweichungen von den einheitlichen Leistungsdefinitionen zulässig sein, die das gegenwärtige Vergütungssystem vorgibt.
- Leistungsorientierte Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser: Die Kliniken sollten zukünftig sowohl ihre Betriebsausgaben als auch ihre Investitionsaufwendungen allein aus der Vergütung finanzieren, die ihnen von den Krankenversicherungen für erbrachte Behandlungsleistungen gezahlt werden. Sämtliche Finanzmittel sollten gleichermaßen leistungsorientiert auf die Krankenhäuser verteilt werden, und zwar durch Investitionszuschläge auf die diagnosebezogenen Fallpauschalen.
- Stärkung des Vertragswettbewerbs in der Gesundheitsversorgung: Unterschiedliche Gruppen von Leistungsanbietern sollten die gleichen Möglichkeiten zum Vertragsabschluss mit Krankenkassen haben. Für Krankenkassen darf es keinen Zwang zum Angebot spezieller Vertragsformen geben. Konzentrationsprozesse bei Leistungs- anbietern und Krankenkassen, die mit einer Ausweitung der selektivvertraglichen Versorgung einhergehen, sollten nicht behindert werden. Die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung sollte derzeit nicht vollumfänglich auf die Krankenkassen übergehen, weil kleinere und mittlere Krankenkassen mit einer solchen Verpflichtung an ihre organisatorischen Grenzen stießen. Die Sicherstellung bleibt letztlich eine staatliche Aufgabe.
- Erweiterter Vertragswettbewerb in der Arzneimittelversorgung: Der Vertragswettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt sollte auf eine breitere Basis gestellt werden, die über eine Absenkung von Generikapreisen unter Festbetragsniveau hinausgeht. Die Ausgabenrisiken durch hoch- innovative Spezialpräparate können – wegen deren therapiebezogener Alleinstellungsmerkmale – damit jedoch kaum begrenzt werden.
- Schaffung sektorübergreifender Versorgungsstrukturen: Als eine wesentliche Voraussetzung sollten zur Erhöhung der Leistungs- transparenz sektorübergreifende Qualitätsindikatoren und Qualitätsstandards implementiert werden. Die Genehmigung neuer Behandlungsmethoden und perspektivisch auch die Leistungsdefinitionen sind sektorübergreifend zu vereinheitlichen. In Selektiv- verträgen zur integrierten Versorgung sind sektor- übergreifende Formen der Leistungsvergütung einzusetzen. Auf Grundlage der Erfahrungen hiermit ist eine Annäherung und letztlich Vereinheitlichung der sektorspezifischen Vergütungssysteme anzustreben.
- Konsequente Anwendung des Wettbewerbsrechts: Das Kartellverbot gemäß dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sollte sowohl auf der Versicherungsseite als auch bei allen direkten Leis-tungsanbietern im Bereich der Selektivverträge Anwendung finden. Ebenso sollte die Missbrauchs- aufsicht konsequent gelten. Die Anwendung des Vergaberechts – obgleich durch die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vorgegeben – ist perspektivisch zu hinterfragen.
- Begrenzung der Risiken für den öffentlichen Haushalt: Der eingeschlagene Weg einer stärkeren Steuerfinanzierung darf nicht dazu führen, dass sich der Bundeszuschuss zum fiskalischen Lückenfüller des GKV-Systems entwickelt. Daher – und um das die GKV prägende Prinzip der Beitragsfinanzierung nicht auszuhöhlen – sollte Steuerzuschüsse mit klar definierten Zweckbindungen versehen werden. Die Teilung von Finanzierungslasten zwischen Bund und Ländern sollte neu gestaltet werden. Die bislang für Krankenhausinvestitionen verwandten Steuermittel der Länder sind in ein explizit monistisches Finanzierungssystem zu überführen. Alternativ können die Bundesländer an der Finanzierung des Steuerzuschusses an die GKV beteiligt werden.