Gutachten: Mobilitätpässe bringen ÖPNV-Ausbau voran
Ein Mobilitätspass könnte vielen Kommunen helfen, mehr finanzielle Mittel für den Ausbau des ÖPNV zu generieren und somit klimafreundlichere Mobilität zu fördern. Dieses ergänzende Finanzierungsinstrument kann flexibel an örtliche Verhältnisse angepasst werden und eröffnet auch ländlichen Regionen neue Einnahmemöglichkeiten, um in Mobilitätsinfrastruktur zu investieren.
Berlin, 3. März 2021 (IGES Institut) - Zu diesem Ergebnis kommen Modellberechnungen für das Land Baden-Württemberg, die IGES-Experten im Auftrag des dortigen Landesverkehrsministeriums durchgeführt haben. Es handelt sich dabei um in ihrer Form einmalige Analysen, die mit realen Daten die finanziellen Wirkungen verschiedener Arten von Mobilitätspässen zeigen.
Drei Varianten eines Mobilitätspasses untersucht
Ein Mobilitätspass ist ein Instrument der sogenannten Drittnutzerfinanzierung. Dabei werden auch indirekte Nutzer des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) mit in die ÖPNV-Finanzierung einbezogen. Die IGES-Verkehrsexperten untersuchten drei Varianten eines Mobilitätspasses für vier strukturell unterschiedlichen Beispielkommunen in Baden-Württemberg, die repräsentativ für eine Groß-, Mittel- und Kleinstadt sowie eine Verbundregion sind. Dabei müssen entweder alle Einwohner einer Kommune („Bürgerticket“), Autobesitzer in einem festgelegten Gebiet („Nahverkehrsabgabe“) oder autofahrende Einwohner und Pendler auf definierten Straßen eine verpflichtende Abgabe leisten („Straßennutzungsgebühr“). Als direkte Gegenleistung können die jeweiligen Gruppen je nach Höhe des Beitrages vergünstigt oder sogar kostenfrei den ÖPNV nutzen und profitieren von einem verbesserten ÖPNV-Angebot.
Zusätzliche Einnahmen in Millionenhöhe
So würde etwa der Großstadt Stuttgart mit seinen rund 615.000 Bewohnern ein „Bürgerticket“ mit einem zu zahlenden Monatsbeitrag in Höhe von 20 Euro oder 40 Euro rund 125 Millionen bzw. 250 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen bringen. Abzuziehen sind jedoch noch Ausgaben, um den dann voraussichtlich stärker genutzten ÖPNV an die erhöhte Nachfrage anzupassen. Den IGES-Berechnungen zufolge wären dafür zwischen rund 20 Millionen und 39 Millionen Euro zu veranschlagen. Unter dem Strich blieben der Landeshauptstadt rund 104 Millionen bzw. 209 Millionen Euro für neue Mobilitätsmaßnahmen.
Aber auch eine Kleinstadt wie etwa Bad Säckingen mit seinen rund 18.000 Einwohnern könnte zusätzliche Finanzmittel gewinnen: Bei einem 20-Euro- oder 40-Euro-Monatsbeitrag für ein Bürgerticket wären dies 3,5 Millionen bzw. fast sieben Millionen Euro.
Die IGES-Analysen zeigen, dass beim Modell „Bürgerticket“, die ÖPNV-Nutzung bei einem Mobilitätsgutachten in Höhe von 20 Euro, das für den Kauf von ÖPNV-Zeitkarten genutzt werden kann, in den verschiedenen Regionen zwischen sieben und zehn Prozent steigen würde. Dies unterstützt Kommunen, gesteckte Klimaschutzziele zu erreichen.
Etwas weniger finanzielle Mittel als ein Bürgerticket generiert ein Mobilitätpass für Kfz-Halter („Nahverkehrsabgabe“), da es weniger Abgabepflichtige gibt. Für Stuttgart wären dies den Berechnungen zufolge rund 50 Prozent weniger. Bei einer Abgabe in Höhe von 20 Euro ergäbe dies immerhin noch rund 60 Millionen Euro, bei einer 40-Euro-Abgabe noch rund 120 Millionen Euro.
Mobilitätspass für Kfz-Nutzer erhöht stark ÖPNV-Nachfrage
Die Variante Mobilitätspass für Kfz-Nutzer („Straßennutzungsgebühr“) bewegt sich bei der Höhe der zusätzlich gewonnenen Finanzmittel zwischen den beiden anderen Varianten. Hier wurde unter anderem eine Abgabe in Höhe von monatlich 60 Euro und einem Guthaben für den Kauf von Zeitkarten in Höhe von 30 Euro simuliert. Heraussticht dieser Pass mit seinem Effekt, mehr Menschen zur Nutzung von Bus und Bahn zu bewegen. So würde die Nachfrage nach ÖPNV-Leistungen vergleichsweise am stärksten in Stuttgart steigen, nämlich um 23 Prozent, was einer Zunahme von jährlich rund 7,6 Millionen ÖPNV-Fahrten entspricht.
Analyse mit realen Mobilitäts-Daten
In die Modellberechnungen sind sozioökonomische Daten, Informationen zur aktuellen ÖPNV- und Straßennutzung, aber auch Ausgaben für Vertriebsaufgaben im Zusammenhang mit dem ÖPNV eingeflossen. Das Vorgehen und die Erkenntnisse könnten auch anderen Städten und Gemeinden als Schablone für Konzeption und Umsetzung derartiger Vorhaben zur Drittnutzerfinanzierung dienen.