Experten: Noch bessere und mehr Daten für die künftige Planung der Diabetes-Versorgung in Deutschland nötig
Anknüpfend an drei vorausgegangenen Workhops diskutierten Experten, aus unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitswesens und der Gesundheitsforschung, über die aktuelle Situation und künftige Herausforderungen der Diabetes-Versorgung.
Berlin, 29.11.2012 (IGES Institut) - Ungeachtet der weiter steigenden Zahl an Diabetikern ist laut Experten das Wissen über die Erfolge von Prävention und Therapie noch immer unzureichend. Auch die Dokumentation der DMP ist für den Nutzennachweis der Programme zu wenig verlässlich. Zudem forderten sie erneut eine nationale Strategie, um langfristig die Diabetes-Versorgung zu verbessern. Das ist das Fazit des 4. Nationalen Workshop Diabetes-Versorgung am Berliner IGES Institut, an dem rund 60 Gesundheits-Experten teilnahmen.
"Mit der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) können wir aktuelle repräsentative Daten zur Verbreitung von Diabetes mellitus bei Erwachsenen im Alter von 18 bis 79 Jahren beitragen, die in Verbindung mit dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998 eine Beurteilung der zeitlichen Entwicklungen der Erkrankungshäufigkeit zulässt", erläuterte Dr. Christa Scheidt-Nave, Leiterin des Fachgebietes Epidemiologie nicht übertragbarer Krankheiten am Robert Koch-Institut (RKI).
Vorteil sei, dass mit DEGS wiederholte Untersuchungen zum bekannten als auch zum bislang unerkannten Diabetes mellitus sowie zu Risikofaktoren möglich sind. "Eine wichtige Aufgabe bleibt es aber, Daten zur Versorgungsqualität und zu den Spätschäden von Diabetes in ähnlich systematischer Weise zu erfassen. Hier ist die Zusammenarbeit aller gefordert", so Scheidt-Nave.
Laut DEGS ist seit 1998 die Diabetes-Häufigkeit um zwei Prozentpunkte auf 7,2 Prozent gestiegen. Das entspricht einer Zahl von 4,6 Millionen Diabetikern unter den 18- bis 79-Jährigen. Am stärksten ist der Anstieg bei Männern über 70 Jahre sowie bei Erwachsenen mit Adipositas. Etwa ein Drittel der Zunahme ist durch die Alterung der Bevölkerung zu erklären. 0,7 bis 2,1 Prozent der Bundesbürger haben eine unerkannte Zuckererkrankung, je nachdem welche Laborkriterien zugrunde gelegt werden.
Bedenklich sei die Qualität der DMP-Dokumentation im Vergleich zu den verlässlicheren, weil abrechnungsrelevanten GKV-Routinedaten, berichtete Prof. Roland Linder, stellvertretender Leiter des Wissenschaftlichen Instituts für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG) der Techniker Krankenkasse. „Laut DMP-Dokumentation wird beispielsweise mehr als doppelt so vielen Versicherten Glibenclamid verordnet als sich in den eingelösten Rezepten anhand der Routinedokumentation wiederfinden lassen. Aufgrund der eingeschränkten Validität der Diabetes-DMP-Daten müsse neben der Weiterentwicklung der Programme auch die Dokumentation reformiert werden."
„Wir brauchen konkrete nationale Zielvorgaben mit Zeithorizont, Indikatoren für die Zielerreichung, Maßnahmen zur Umsetzung sowie eine integrierte Evaluierung.“, sagte Dr. Stefanie Gerlach, Leiterin Gesundheitspolitik, diabetesDE - Deutsche Diabetes-Hilfe. Dazu sei eine strukturierte, nationale Diabetes-Strategie nötig, die Deutschland anders als 16 andere europäische Länder noch immer nicht habe
Für die Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten bei Diabetes sei die frühe Nutzenwertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) einschneidend: „Neue Antidiabetika werden es schwer haben, einen patientenrelevanten Zusatz-Nutzen bereits zum Zeitpunkt der Zulassung nachzuweisen. Hintergrund ist, dass die zu verhindernden krankheitsbedingten Ereignissen weit in der Zukunft liegen und die Einstellung des Blutzuckerspiegel nicht per se als patientenrelevant anerkannt wird" sagte Hans-Holger Bleß, Bereichsleiter Versorgungsforschung beim IGES Institut. Die Weiterentwicklung der Therapie sei jedoch besonders mit Blick auf den stark steigenden Insulinverbrauch und daraus resultierenden, möglichen unerwünschten Wirkungen von Bedeutung.
Dr. Claus Runge, Vice President Corporate Affairs bei AstraZeneca GmbH, dazu: „Es ist weiterhin dringend notwendig, das therapeutische Arsenal in der Behandlung des Diabetes zu erweitern. Neben den etablierten Therapien brauchen wir neue Ansätze, die eine Gewichtszunahme oder das Auftreten von Hypoglykämien verhindern helfen."
Bei einer während der Veranstaltung laufenden Befragung zeigte sich, dass 47 Prozent der Teilnehmer durch die frühe Nutzenbewertung nach AMNOG eine Verschlechterung der Versorgung befürchten. Am Ende der Vorträge und Diskussionen stieg dieser Anteil auf 55 Prozent.
Das IGES Institut initiiert regelmäßig Fachtagungen zu aktuellen Fragen der Gesundheitsversorgung. Der 4. Nationale Workshop Diabetes-Versorgung wurde gemeinsam mit den Unternehmen AstraZeneca und Bristol-Myers Squibb veranstaltet und fand in Kooperation mit diabetesDE - Deutsche Diabetes-Hilfe statt.