Studie: Sektorengrenzen bei neurologisch und psychiatrisch Kranken stärker durchbrechen
Bei der Behandlung neurologisch und psychiatrisch Kranker arbeiten die verschiedenen Versorgungsbereiche nicht optimal zusammen. So erhalten viele Patienten mit Schizophrenie nach einem Krankenhausaufenthalt keine zeitnahe ambulante Anschlussbehandlung. Die Häufigkeit von Krankenhausaufenthalten bei Patienten mit Multipler Sklerose variiert regional teilweise deutlich – je nachdem, wie wie viele niedergelassene Fachärzte verfügbar sind. Die Demenz-Diagnostik ist vielfach zu unspezifisch. Zudem sind Fachärzte bei der Erstdiagnose nur relativ selten involviert.
Berlin, 29. Oktober 2014 (IGES Institut) - Dies zeigt eine in ihrer Form erstmalige Analyse der Versorgung neurologisch-psychiatrischer Patienten. Wissenschaftler des IGES Instituts hatten dafür Daten von mehr als 250.000 gesetzlich Versicherten mit Demenz, Multipler Sklerose (MS) und Schizophrenie aus den Jahren 2008 bis 2010 ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass jeder zweite MS- und Schizophrenie-Kranke in den ersten vier Wochen nach einem stationären Aufenthalt keinen Kontakt zu einem niedergelassenen Neurologen, Nervenarzt oder Psychiater hat. Aber auch eine hausärztliche Betreuung fehlte zusätzlich bei jedem fünften mit Schizophrenie und bei 15 Prozent der MS-Kranken.
Bei Schizophrenie-Patienten sei dies vor allem mit Blick auf eine kontinuierliche Arzneimitteltherapie problematisch, so die Autoren der Studie "Neurologische und psychiatrische Versorgung aus sektorenübergreifender Perspektive" , die im Auftrag mehrerer Facharztverbände (*s.u.), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sowie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (ZI) entstand.
Häufigere Rehospitalisierung bei geringerer Facharztdichte
Bei Schizophrenie-Patienten ohne zeitnahe ambulante Versorgung kam es zudem häufiger zu einer erneuten stationären Wiederaufnahme. Dies betraf wiederum vor allem diejenigen, die in einer Region mit geringerer Facharztdichte leben – in der Studie waren dies 60 Prozent.
MS- und Schizophrenie-Patienten werden zu 94 bzw. 80 Prozent ausschließlich oder unter Beteiligung niedergelassener Neurologen, Nervenärzte oder Psychiater versorgt. Nur in 57 Prozent der Fälle sind diese Arztgruppen jedoch in die Betreuung von Demenzkranken eingebunden. Relativ selten, nämlich nur in jedem fünften Fall, stellen sie hier die Erstdiagnose. Angesicht der hohen Anzahl unspezifischer Demenz-Diagnosen ist den Autoren zufolge eine bessere Zusammenarbeit nötig.
Versorgungskapazitäten beeinflussen Therapie
Die Studie belegt zudem erneut, dass nicht nur therapeutische Anforderungen die medizinische Behandlung bei den drei ausgewerteten Krankheitsbildern bestimmen, sondern auch die vorhandenen Versorgungskapazitäten. So war die Zeit bis zum ersten Facharztkontakt nach Erstdiagnose umso kürzer, je mehr niedergelassene Nervenärzte, Neurologen und Psychiater in einer Region tätig waren.
Im Durchschnitt war mehr als ein Fünftel der Schizophrenie-Patienten nach ihrer Erstdiagnose in den darauffolgenden sechs Wochen ohne ambulante (fach-)ärztliche oder stationäre Behandlung. Bei Multipler Sklerose und Demenz waren es jeder sechste und jeder achte.
Regional unterschiedlich war auch die Krankenhaushäufigkeit von MS-Patienten: Die Anteile der Patienten mit mindestens einem Krankenhausaufenthalt schwankten bereits auf Ebene der Bundesländer zwischen 13 und knapp 37 Prozent. Wenn mehr niedergelassene Fachärzte ansässig waren, so trug dies zu einer geringeren Krankenhaushäufigkeit bei. Im Durchschnitt hatte jeder fünfte MS-Patient 2010 mindestens einen stationären Aufenthalt.
Für die IGES-Experten zeigen die Studienergebnisse, dass es dringend erforderlich ist, die Versorgung der Betroffenen optimaler an den inter- und intrasektoralen Schnittstellen zu steuern. Die vorgelegte Studie biete dafür zahlreiche Ansatzpunkte.
* Berufsverband Deutscher Nervenärzte e.V. (BVDN), Berufsverband Deutscher Neurologen e.V. (BDN), Berufsverband Deutscher Psychiater e.V (BVDP), Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V (DGN)