GKV-Pflicht für Beamte entlastet öffentliche Haushalte
Die Einbeziehung der Beamten in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) würde Bund und Länder bis 2030 um schätzungsweise insgesamt 60 Milliarden Euro entlasten. Allerdings würden sich nicht alle Bundesländer besserstellen. Der Systemwechsel brächte der GKV zusätzliche Einnahmen, die Beitragssenkungen bis zu 0,34 Prozentpunkte ermöglichen.
Titel der Studie: Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen in die Gesetzliche Krankenversicherung – Teilbericht Beamte
Hintergrund: Das Finanzierungssystem der Krankenversicherung steht seit Jahren in der Diskussion. Vor allem das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung (GKV und PKV) wird kritisiert. Unter anderem, weil vergleichsweise gutverdienende Berufsgruppen wie Beamte als PKV-Mitglieder nicht in die Solidargemeinschaft einzahlen. Zur Debatte stehen verschiedene Ansätze für eine integrierte Krankenversicherung.
Fragestellung: Wie wirkt sich der Einbezug von Beamten in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) finanziell auf die öffentlichen Haushalte und auf die GKV aus?
Methode: Simulationen mit Mikrodaten (Sozio-ökonomischen Panel SOEP) und weiteren Daten der GKV-Finanzstatistik (z.B. KJ1-Statistik). Berechnet wurden verschiedene Modelle einer GKV-Versicherungspflicht für Beamte. Bezug sind zentrale Parameter der Beitragsbemessung des Jahres 2014, auf deren Grundlage langfristige finanzielle Effekte bis 2030 geschätzt wurden. Bei den Berechnungen wurden zentrale Elemente der gegenwärtigen Versicherungsregelungen weitestgehend beibehalten (beitragspflichtige Einkommensarten, Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenzen).
Ergebnisse: Mehr als 80 Prozent der derzeitig privatversicherten Beamten werden bei der Ausweitung der Versicherungspflicht GKV-Mitglieder. Dadurch wären für die öffentlichen Haushalte bis ins Jahr 2030 Einsparungen bei den Beihilfeausgaben in Höhe von schätzungsweise insgesamt 60 Milliarden Euro möglich. Aufgrund von Mehreinnahmen könnte die GKV den Beitragssatz um 0,34 Prozentpunkte senken. Arztpraxen müssten mit Umsatzausfällen von jährlich bis zu 6,4 Milliarden Euro rechnen.
Auftraggeber: Bertelsmann Stiftung
Schlagwörter: gesetzliche und private Krankenversicherung, Versicherungspflicht, Beamte, Beihilfe
Berlin, 10. Januar 2017 (IGES Institut) - Derzeit sind rund 3,1 Millionen Beamte in der privaten Krankenversicherung (PKV) versichert. Etwa zwei Millionen (67 Prozent) würden zu GKV-Mitgliedern, wenn auch für sie die allgemeine Krankenversicherungspflicht mit der derzeitigen Versicherungspflichtgrenze gelten würde. Weitere 21 Prozent, etwa 640.000, wechselten vermutlich freiwillig in die GKV, da sie dort geringere Versicherungsbeiträge erwarten. Der PKV blieben dann nur noch rund 380.000 Beamte und deren 90.000 Angehörige als Kunden, ein Anteil von 12 Prozent aller privat versicherten Beamten bzw. 11 Prozent unter Einbezug der Angehörigen. Das zeigen Berechnungen des IGES Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.
Entlastung der öffentlichen Haushalte um jährlich 3,2 Milliarden Euro
Als Folge sparen die öffentlichen Haushalte Ausgaben für die Beihilfe, mit der sie sich in der Regel zu 50 Prozent an den Behandlungskosten von Beamten beteiligen. Stattdessen müssten sie den Arbeitgeberanteil des GKV-Beitrages übernehmen. Im ersten Jahr der Umstellung wären dies statt 12,9 Milliarden Euro für die Beihilfe dann 9,7 Milliarden Euro an Zuschüssen zu GKV-Beiträgen bzw. PKV-Prämien der in der PKV verbleibenden Beamten. Das entspricht einer Entlastung um 3,2 Milliarden Euro jährlich. Bis zum Jahr 2030 würden sich die Einsparungen für Bund und Länder auf 60 Milliarden Euro aufsummieren. Davon entfielen 33,2 Milliarden Euro auf den Bund und 27,2 Milliarden Euro auf die Länder. Den Berechnungen wurden die Daten des Jahres 2014 zugrunde gelegt.
Vor allem Bundesländer mit besonders vielen Pensionären, die meist höhere Krankheitskosten und damit höhere Beihilfeausgaben erzeugen, würden sich durch einen Systemwechsel finanziell besserstellen. Das sind vorrangig die westdeutschen Bundesländer mit Nordrhein-Westfalen an der Spitze, das bis 2030 rund 10 Milliarden Euro spart, gefolgt von Bayern und Baden-Württemberg (7,7 und 6 Milliarden Euro).
Anfängliche Belastung ostdeutscher Bundesländer
Ostdeutsche Bundesländer mit historisch bedingt vergleichsweise wenigen Pensionären würden zu Beginn der Umstellung zunächst belastet. Aufgrund eines zukünftig wachsenden Anteils von nicht mehr aktiven älteren Beamten und somit steigenden Beihilfeausgaben würden sie teilweise über den gesamten Prognosezeitraum betrachtet schließlich doch entlastet, wenn auch nur geringfügig. Das gilt für Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Nur für Sachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern rechnet sich bis 2030 eine Systemumstellung nicht.
Die in die GKV wechselnden Beamten verfügen mit fast 38.000 Euro über ein durchschnittlich höheres beitragspflichtiges Jahreseinkommen als die gegenwärtigen GKV-Mitglieder mit rund 23.000 Euro. Der GKV brächten die rund 2,7 Millionen ehemaligen PKV-Mitglieder Mehreinnahmen in Höhe von etwa 15,2 Milliarden Euro, ein Anstieg um acht Prozent. Demgegenüber ständen zusätzliche Ausgaben für Behandlungen und sonstige Leistungen der Neumitglieder. Diese wären mit 11,8 Milliarden Euro jedoch geringer als die Beitragseinnahmen, sodass unter dem Strich ein Plus von 3,4 Mrd. Euro im Ausgangsjahr bliebe. Unter den Bedingungen der dann gültigen grundsätzlichen Versicherungspflicht könnte damit der GKV-Beitragssatz um 0,34 Prozentpunkte sinken.
Umsatzverluste für Ärzte in Milliardenhöhe
Für die Gesamtbeurteilung eines derartigen Systemwechsels sind weitere finanzielle Folgen einzubeziehen: Weil Ärzte für privat versicherte Patienten höhere Honorare abrechnen können, ist bei ihnen mit Umsatzausfällen von jährlich bis zu 6,4 Milliarden Euro zu rechnen. Zudem hätte der Weggang von rund 3,6 Millionen Beamten und ihren Angehörigen Auswirkungen auf die Unternehmen der PKV. Eine Lösung müsste zudem für die Alterungsrückstellungen der ehemaligen PKV-Mitglieder gefunden werden, die sich geschätzt auf rund 72 Milliarden Euro belaufen. Sie könnten schrittweise zur GKV übertragen werden, um zusätzliche alterungsbedingte Beitragsbelastungen infolge der neuen GKV-Mitglieder zu verringern.
(Anmerkung der Redaktion vom 11.01.2017: Im ersten Absatz wurde ein Fehler korrigiert: Der PKV blieben nur noch rund 380.000 Beamte und deren 90.000 Angehörige als Kunden (statt 890.000 Angehörige.)