Krankenkassen entscheiden über Leistungsanträge höchst unterschiedlich
Jeder zweite Widerspruch gegen einen abgelehnten Antrag auf eine Vorsorge- oder Rehabilitationsleistung bei Krankenkassen ist erfolgreich. Allerdings ist die Erfolgsquote von Kasse zu Kasse sehr unterschiedlich. Bundesweit erhoben rund 56.000 gesetzlich Versicherte 2015 Einspruch gegen einen derartigen negativen Bescheid. Das ist jedoch nur ein Viertel aller, deren Antrag abgelehnt wurde.
Titel der Studie: : Leistungsbewilligungen und -ablehnungen durch Krankenkassen
Hintergrund: Öffentliche Diskussionen über Entscheide von Krankenkassen über Leistungsanträge von Versicherten sowie Berichte über mangelndes Wissen von Betroffenen.
Fragestellung: Wie und in welcher Zeit werden Leistungsanträge von den Krankenkassen beschieden, wie werden die Versicherten über die Entscheidung informiert und wie gehen sie damit um?
Methode: Literatur- und Sekundärdatenanalysen (u.a. Statistiken der Bundesministerien für Gesundheit sowie Arbeit und Soziales), Rechtsprechungsanalyse, Befragungen von Versicherten, Krankenkassen, Verbänden und Experten.
Ergebnisse: Krankenkassen bescheiden Leistungsanträge mehrheitlich positiv, allerdings nach Kassenart und Leistungsbereich jeweils in verschiedenem Ausmaß. Jedem zweiten Versicherten sind Entscheidungsfristen unbekannt, jedem dritten nicht das Widerspruchsrecht. Bei abgelehnten Vorsorge- oder Rehabilitationsanträgen ist jeder zweite Widerspruch erfolgreich.
Auftraggeber: Geschäftsstelle des Patientenbeauftragten für die Belange der Patientinnen und Patienten sowie Bevollmächtigten für Pflege
Schlagwörter: Gesetzliche Krankenversicherung, Leistungsanträge, Leistungsbewilligungen- und ablehnungen, Entscheidungsfrist
Autoren: Monika Sander, Martin Albrecht, Verena Stengel, Meilin Möllenkamp, Stefan Loos, Gerhard Igl
Berlin, 23. Juni 2017 (IGES Institut) - Das zeigt ein Gutachten des IGES Instituts in Zusammenarbeit mit dem Sozialrechtler Professor Dr. Gerhard Igl im Auftrag des Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann.
Die Untersuchung macht aber auch deutlich, dass Krankenkassen den Großteil der Leistungsanträge genehmigen. Jedoch variiert dies für die einzelnen Leistungsbereiche sehr. So bewilligen Kassen mehr als 97 Prozent der Anträge auf häusliche Krankenpflege und 87 Prozent der mehr als 8,5 Millionen Anträge auf Hilfsmittel. Hingegen werden lediglich 81 Prozent der Anträge auf Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahmen, etwa eine Kur oder stationäre Rehabilitationsmaßnahme, entsprochen.
Dabei unterscheiden sich die Ablehnungsquoten je nach Kasse. Sie variieren etwa für Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahmen zwischen 8,4 Prozent bei der Landwirtschaftlichen Krankenkasse (LKK) und 19,4 Prozent bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKen) und Ersatzkassen. Und auch die Häufigkeit erfolgreicher Widersprüche gegen Leistungsablehnungen ist uneinheitlich. So entspricht die LKK zwei von drei Versicherten bei einem Widerspruch, während es bei der Knappschaft-Bahn-See nur weniger als jeder zehnte ist.
Über das Procedere eines Leistungsantrags fühlen sich 60 Prozent der Versicherten überwiegend sehr gut informiert. Zudem sind sie mehrheitlich (75 Prozent) mit dem Austausch mit ihrer Krankenkasse zufrieden. Ablehnungsbescheide empfanden sie jedoch meist als unverständlich und oft nicht nachvollziehbar, zudem wurden Ablehnungen teilweise auch telefonisch mitgeteilt.
Insgesamt gingen 2015 bei den Krankenkassen schätzungsweise mehr als 26 Millionen Leistungsanträge ein. In weniger als einem Prozent der Fälle überschritten die Kassen dabei die gesetzlich vorgeschriebene Bearbeitungsfrist, was dann automatisch einen Anspruch auf Kostenerstattung begründet. Mehr als jeder Zweite Versicherte ist darüber jedoch nicht informiert, wie eine Umfrage im Rahmen der Studie zeigt. Gründe für Fristüberschreitungen sind den Krankenkassen zufolge meist Zeitverzögerungen im Zusammenhang mit gutachterlichen Tätigkeiten.
Im Jahr 2015 kam es zu insgesamt rund 252.000 Widersprüchen. Allerdings sind darin neben Widersprüchen gegen Leistungsablehnungen auch solche gegen andere Vorgänge wie Beitragsbescheide oder Arztklagen einbezogen.
Vor deutschen Sozialgerichten endeten geschätzt etwa 46.000 Streitfälle aus dem Bereich Krankenversicherung. Jede vierte Klage hatte Erfolg. Auch hier sind nicht nur Leistungsablehnungen gezählt. Zudem fehlen statistische Angaben, welche Leistungsbereiche verhandelt wurden. Der IGES-Studie zufolge waren dies zwischen 2011 und 2016 häufig Prozesse um abgelehnte Leistungsanträge für Hörgeräte, alternative Behandlungsmethoden bei Krebserkrankungen sowie Adipositaschirurgie.
Die Autoren empfehlen, die Bemühungen um Aufklärung der Versicherten über das Vorgehen bei Leistungsanträgen auch krankenkassenunabhängig zu verstärken, um etwa das Wissen über Widerspruchsmöglichkeiten zu fördern. Jeder dritte Versicherte weiß nicht, dass man Leistungsablehnungen widersprechen kann.
Für eine verbesserte Kommunikation von Leistungsablehnungen könnte ein Musterablehnungsbescheid in verständlicher Form helfen. Die hohe Erfolgsquote bei Widersprüchen deute zudem auf Verbesserungspotenzial bei den Krankenkassen bei der ersten Bearbeitung von Anträgen hin. Um das Leistungsantragswesen künftig noch besser bewerten zu können, könnte eine Ausweitung der Berichtspflicht helfen. So ist derzeit die genaue Anzahl aller Leistungsanträge, -bewilligungen und -ablehnungen unbekannt.