Gesundheits-Apps & Co: klarere Rahmenbedingungen als Chance für sichere digitale Versorgungsprodukte
Um die Chancen digitaler Versorgungsprodukte besser zu nutzen, plädieren Experten für klarere Zulassungsregularien. Danach sollten innovative online- und IT-Anwendungen vor allem nach ihren Risiken für die Gesundheit ihrer Nutzer beurteilt werden. Bisher fehlt eine entsprechende Zulassungssystematik, die den vielfältigen Produkten gerecht wird.
Berlin, 14. September 2016 (IGES Institut) - „Die Nachfrage nach digitalen Gesundheitsprodukten wächst kontinuierlich. Doch der Marktzugang ist derzeit intransparent. Man benötigt Verfahren, die der dynamischen Branche und der Patientensicherheit gleichzeitig gerecht werden“, sagt Dr. Karsten Neumann, Geschäftsführer des IGES Instituts. Anders als bei Medizinprodukten oder Arzneimitteln sei der stärkste Treiber für Produktrisiken nicht vorrangig die medizinische Wirkung, sondern die Verarbeitung von Daten und die an den Nutzer übermittelten Informationen. Derzeit fallen digitale Anwendungen wir Gesundheits-Apps unter das Medizinproduktegesetz (MPG), das jedoch ursprünglich für eine andere Art von Produkten gedacht war.
Klarheit und Verlässlichkeit könnte eine neue, vierteilige Risikoklassifizierung schaffen, wie sie IGES-Experten im Rahmen einer Marktstudie für die Techniker Krankenkasse entwickelt haben. Sie beruht darauf, wie stark eine digitale Anwendung gesundheitsrelevante Daten individualisiert, den Nutzern Handlungsempfehlungen gibt oder ihnen gar Arztbesuche ersparen soll.
Vom Nachlagewerk bis zum Arztersatz: vier Risikoklassen
Danach bilden die unterste Klasse reine Informationsangebote wie Nachschlagewerke zu Symptomen oder Medikamenten. Zur zweiten Klasse gehören Produkte, die individuelle Daten wie etwa Blutzuckerwerte sammeln, speichern und darstellen. Meist sollen sie das Selbstmanagement einer Krankheit unterstützen. Produkte der dritten Klasse gehen einen Schritt weiter. Sie sprechen auf Basis komplexer Datenverarbeitung Empfehlungen zu Therapien und Diagnosen aus, fordern beispielsweise zum Arztbesuch auf. Die anspruchsvollste, bisher kaum angebotene Gruppe sind Anwendungen, die ärztlichen Kontakt ersetzen: etwa Insulindosierungen vorgeben oder Implantate wie Herzschrittmacher eigenständig regulieren.
Zulassungsverfahren sieht auch Studien vor
Entsprechend der Risikostufen gestaltet sich laut dem Konzept die Zulassung: Die ersten beiden Stufen bedürften keiner Zulassung, müssten aber die Korrektheit der Daten belegen – etwa über ein freiwilliges Gütesiegel – sowie Datenschutzregeln einhalten. Die beiden höheren Risikostufen benötigten eine formale Zulassung als „digitales Medizinprodukt“, in deren Rahmen die Richtigkeit der Diagnosen, Therapien oder sonstigen Empfehlungen nachgewiesen werden muss. Dabei wären auch an digitale Produkte angepasste Studien notwendig, welche die digitalen Produkte mit dem heutigen Standard der Versorgung vergleichen. Auch bedingte Zulassungen seien möglich, um Produkten, die noch weiterentwickelt werden, den Marktzugang zu ermöglichen.
Eigener Regelungsrahmen empfehlenswert
Nicht zuletzt aufgrund ihrer Vielfältigkeit sollte für digitale Versorgungsprodukte ein eigener Regelungsrahmen geschaffen werden, was durchaus auch im MPG möglich wäre, empfehlen die Studienautoren. „Digitale Produkte müssen noch zeigen, dass sie die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen. Je klarer die Regeln sind, umso schneller ist das möglich. Davon profitieren Hersteller und vor allem die Nutzer“, so Dr. Neumann.
Vorteil einer geregelten Zulassung sei zudem ein einfacherer Übergang in das Leistungsangebot gesetzlicher Krankenkassen. Zugelassene Produkte könnten meist über Selektivverträge einzelner Kassen Versicherten angeboten werden. Bewähren sie sich, wäre auch ein Übergang in die Regelversorgung möglich.