Pflege-Bürgerversicherung ist kein Allheilmittel
Zusammenlegung der sozialen und privaten Pflegeversicherung zu einer Pflege-Bürgerversicherung nein, mehr innovative private Vorsorge und bei Bedarf mehr Steuerzuschüsse ja – so bewertet der IGES-Geschäftsführer Dr. Martin Albrecht aktuell politisch diskutierte Vorschläge zur zukünftigen Finanzierung der Pflegeversicherung.
Berlin, 08. Mai 2019 (IGES Institut) - Angesichts steigender Pflegekosten in einer alternden Gesellschaft würden Elemente kapitalgedeckter Finanzierung wie in der privaten Pflegeversicherung immer wichtiger. „Eine Abschaffung der kapitalgedeckten Pflegeversicherung würde die finanzielle Nachhaltigkeit des gesamten Systems der Pflegevorsorge schwächen“, sagte Albrecht bei einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages.
Risikostrukturausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung sinnvoll
Sinnvoll sei hingegen, einen finanziellen Ausgleich zwischen den beiden Systemen zu schaffen, weil sie sich in Bezug auf das Pflegerisiko ihrer Versicherten sehr unterscheiden. So werden Versicherte in der sozialen Pflegeversicherung deutlich häufiger pflegebedürftig als in der privaten. Außerdem liegen die Ausgaben je Leistungsbezieher in der sozialen Pflegeversicherung um rund ein Viertel höher als in der privaten, obwohl privat Versicherte öfter höhere Pflegestufen haben. Gleichzeitig verfügen Privatversicherte durchschnittlich um 50 Prozent höhere Einnahmen, die in der gesetzlichen Pflegeversicherung der Beitragspflicht unterlägen. Rechnerisch machen diese strukturellen Unterschiede schätzungsweise rund 0,3 Prozentpunkte des Beitragssatzes der sozialen Pflegeversicherung aus.
Beitragspflicht auf andere Einkommensarten bringt nur wenig
Wenig wirksam und vor allem auch verteilungspolitisch kritisch seien Konzepte zu sehen, bei denen andere Einkommensarten wie Kapital- oder Vermögenseinkünfte als Beitragsgrundlage einbezogen werden sollen. Albrecht verwies dabei auf eigene Berechnungen für die Krankenversicherung. Danach sei der Finanzierungseffekt durch diese Ausweitung marginal. Dies liegt daran, weil Versicherte mit diesen Einkommensarten bereits mit ihrem Erwerbseinkommen die Beitragsbemessungsgrenze erreichen. Demzufolge müsste man diese Grenze stark anheben.
Eine damit verbundene Ausweitung der Beitragsfinanzierung sei aber unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten kritisch zu sehen. Anders als im Steuersystem gebe es bei der Sozialversicherung weder Freibeträge noch ein einkommensabhängiges Ansteigen des Beitragssatzes, wodurch besonders Geringverdiener belastet würden, betonte Albrecht. Er plädierte daher dafür, Steuerzuschüsse oder besser noch steuerfinanzierte Beitragszuschüsse zu bevorzugen, um bei Bedarf die Finanzlage der Pflegeversicherung zu stärken.
Immer weniger Pflegebedürftige mit Sozialhilfe
Vorübergehende Entwarnung gab Albrecht in Bezug die Inanspruchnahme von Sozialhilfe, wenn das Geld der Pflegeversicherung bei pflegebedürftigen Menschen nicht ausreicht. In den vergangenen Jahren seien immer weniger Menschen davon betroffen gewesen. Lag der Anteil der Bezieher von Sozialhilfe unter den Pflegebedürftigen noch bei 13,2 Prozent, waren es Ende 2017 – auch infolge der jüngsten Reform – nur noch 8,4 Prozent.
Die Pflegeversicherung in eine Vollkostenversicherung umzubauen, hält der Gesundheitsexperte ebenfalls für wenig sinnvoll: „Angesichts der demografiebedingten Herausforderungen für die Finanzierung der Pflegeversicherung ist nur schwer zu begründen, warum auf die Möglichkeiten des Entsparens, also des Vermögensabbaus, im Alter und der Bedürftigkeitsprüfung in Verbindung mit erweiterten Ansprüchen an das Sozialsystem verzichtet werden soll.“ Eine Pflegeversicherung als „Schonversicherung“ für vererbbare Vermögen wäre international beispiellos. Zudem ginge dies ebenfalls besonders zu Lasten von Geringverdienern. Denn sie würden mit ihren Beitragszahlungen den Vermögensschutz von wirtschaftlich besser situierten Menschen mit ermöglichen.
Angebote für private Pflegevorsorge müssen attraktiver werden
Stattdessen fordert Albrecht, mehr und vor allem attraktivere Möglichkeiten zur privaten Pflegevorsorge als bisher zu schaffen. So sollte der Gesetzgeber vor allem alternative und innovative Formen der Pflegeversicherung fördern, aber auch den im Sinne des Verbraucherschutzes erforderlichen Regelungsrahmen für innovative Produkte schaffen. Dazu gehörten etwa Versicherungsprodukte mit Assistence-Leistungen oder Immobilienrenten.