Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff: Praxisleitfaden soll Wandel in der Pflege weiter voranbringen
Die Umstellung auf den vor drei Jahren neu eingeführten Pflegebedürftigkeitsbegriff schreitet gut voran. Das zeigen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation, die das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beauftragt hat. Ein begleitend entwickelter Praxisleitfaden soll die pflegerische Neuausrichtung weiter fördern. Er richtet sich an Pflegeeinrichtungen und Pflegekräfte.
Berlin, 24. Februar 2020 (IGES Institut) - Den Leitfaden „Das neue Pflegeverständnis in der Praxis“ haben Wissenschaftler des IGES Instituts in Zusammenarbeit mit Vertretern aus ambulanten, teil- und vollstationären Pflegeeinrichtungen im Auftrag des BMG als Teil einer der Evaluationsstudien entwickelt. Das IGES Institut war für zwei der insgesamt fünf initiierten Studien zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes verantwortlich.
Der 52-seitige Leitfaden unterstützt dabei, ein besseres Verständnis für den 2017 in Kraft getretenen Pflegebedürftigkeitsbegriff zu erlangen. Und er soll helfen, die Neudefinition in der alltäglichen Versorgung zu realisieren. Konkrete Ablaufschemata oder Handlungstipps anhand von Fallbeispielen geben dafür praktische Anleitungen.
Teil- und vollstationäre Pflegeeinrichtungen am weitesten
Bundesweite Daten zum Stand der Umsetzung des neuen Pflegeverständnisses zeigen bereits deutliche Fortschritte, aber auch unterschiedliche Entwicklungen. So ragen diesbezüglich vor allem teil- und vollstationäre Einrichtungen heraus: 73 Prozent der voll- und 81 Prozent der teilstationären Einrichtungen schätzen sich etwa bei Angeboten zur Stabilisierung der psychischen und sozialen Situation von Pflegebedürftigen als weit fortgeschritten ein. Im ambulanten Bereich sind es 45 Prozent. Ein großer Teil der befragten Pflegeeinrichtungen gab ferner an, mit der Umsetzung vieler Aspekte bereits vor 2017 begonnen zu haben.
Pflegekräften sehen neues Pflegeverständnis als berufliche Chance
Nachgefragt, ob sich das neue Pflegeverständnis bereits in schriftlichen Konzepten oder Verfahrensanweisungen in den Einrichtungen widerspiegelt, zeigt sich noch Handlungsbedarf: Jeweils 30 Prozent der Einrichtungen im voll- und teilstationären Bereich und nur 15 Prozent im ambulanten stufen sich diesbezüglich derzeit als weit entwickelt ein. Deutlich wird auch, dass vielen Pflegekräften noch ein klares Bild fehlt, welche Konsequenzen der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff konkret für ihren Arbeitsalltag hat.
Allerdings werten Pflege- und auch Leitungskräfte die neuen fachlichen Anforderungen durch das gewandelte Pflegeverständnis als berufliche Chance, wenngleich sie dabei noch erheblichen Weiterbildungsbedarf sehen.
Pflegebedürftige fühlen sich besser beraten
Ein positives Bild zeigt die Befragung von Pflegebedürftigen: Jeweils mindestens 60 Prozent bejahen, dass sie Aspekte wie eine stärkere Selbstständigkeitsförderung, umfassendere Beratung und Anleitung von Angehörigen sowie mehr pflegerische Betreuungsmaßnahmen bei sich selbst erleben.
Diese Ergebnisse stammen aus großangelegten Befragungen von 1.150 Pflegeeinrichtungen, 2.495 Pflegekräften sowie 9.954 Pflegebedürftigen, die IGES im Rahmen der Evaluationsstudie im Frühjahr 2019 durchgeführt hat.
Das Zweite und Dritte Pflegestärkungsgesetz (PSG II und III) haben weitreichende Veränderungen gebracht. Durch den seit dem 1. Januar 2017 geltenden Pflegebedürftigkeitsbegriff und das damit eng verbundene Begutachtungsinstrument zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit wird unter anderem sichergestellt, dass auch Menschen mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen umfassenden Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung erhalten. Zudem erfolgte eine Umstellung auf fünf Pflegegrade. Zuvor galten drei Pflegestufen.
Der zuvor geltende Pflegebedürftigkeitsbegriff war eng auf Alltagsverrichtungen und Defizite bei Pflegebedürftigen ausgerichtet statt auf Ressourcen und Fähigkeiten der Betroffenen zu fokussieren. Dieser Perspektivwechsel stärkt das Ziel , die Selbstständigkeit zu erhalten und Pflegebedürftige bei der Bewältigung ihrer individuellen pflegerischen Problemlagen zu unterstützen, und verändert die pflegerische Praxis durch ein erweitertes Spektrum pflegerischer Aufgaben.