HIV und HCV bis 2030 eindämmen: 5-Punkte-Plan zeigt Weg
Deutschland droht seine selbstgesetzten Ziele im Kampf gegen HIV und HCV zu verfehlen. Nur mit außerordentlichen Anstrengungen können laut Experten die Vorgaben der „BIS 2030-Strategie“ bis zum Jahr 2030 noch erreicht werden. Sie schlagen dafür einen 5-Punkte-Plan vor. Dieser sieht umfassenderes Screening, bessere Prävention sowie gezielte Maßnahmen für Drogennutzende und Gefängnisinsassen vor.
Berlin, 30. November 2021 (IGES Institut) – Das geht aus einer Studie des IGES Instituts hervor, die fünf Jahre nach Verabschiedung der „BIS 2030-Strategie“ eine Standortbestimmung vornimmt. Sie entstand im Auftrag des Pharmaunternehmens Gilead Sciences.
2016 hatte die Bundesregierung sich vorgenommen, HIV, Hepatitis B und C sowie andere sexuell übertragbare Infektionskrankheiten bis 2030 nachhaltig einzudämmen („BIS 2030 – bedarfsorientiert, integriert, sektorübergreifend“). Sie knüpft damit an die Ziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen an. Das IGES-Expertenteam sieht bei diesem Vorhaben Teilerfolge, aber auch noch bestehende große Herausforderungen.
Bei HIV bereits Ziele bereits erreicht
So wurde mit Blick auf HIV-Infektionen einiges erreicht: 88 Prozent der Infizierten wissen von ihrer Infektion durch Testung und nahezu alle Betroffenen erhalten inzwischen eine antiretrovirale Therapie (96 Prozent). Positiv ist ferner, dass bei HCV-Infizierten die Zahl der Todesfälle in den vergangen fünf Jahren um mehr als die Hälfte gesunken ist (54 Prozent). Eines der zentralen Ziele jedoch - die Senkung der Zahl der Neuinfektionen - ist insbesondere bei HCV noch nicht erreicht: Dafür mangelt es noch bei der Prävention, Testung und Behandlung von Patienten mit HCV. So erhalten Schätzungen zufolge 17 bis 47 Prozent aller HCV-Infizierten eine adäquate Therapie, die in den allermeisten Fällen eine komplette Heilung ermöglicht. Verlässliche Daten dazu existieren jedoch nur eingeschränkt.
Jährlich infizieren sich in Deutschland rund 3.000 Menschen mit HIV - mit fallender Tendenz, besonders in der Hauptrisikogruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Rund 90.700 Menschen mit HIV leben nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) derzeit in Deutschland (Stand Ende 2019).
HCV-Neuinfektionen gehen nicht zurück
Bei HCV kommt es jährlich unverändert zu rund 6.000 Neuinfektionen, trotz zahlreicher Aufklärungskampagnen und Therapieoptionen mit Heilung. Die IGES-Studienautoren gehen derzeit von etwa 230.000 Menschen mit einer chronischen HCV-Infektion aus.
Die IGES-Wissenschaftler schlagen daher einen 5-Punkte-Plan vor, um HIV und HCV einzudämmen. Dazu gehören erstens noch mehr niedrigschwellige Testangebote, um die unwissentliche Verbreitung der Infektionen zu unterbrechen. Besonders für Risikogruppen wie intravenös (i.v.) Drogennutzende oder Haftinsassen sollten mehr Testmöglichkeiten geschaffen werden.
Zweitens gilt es, Präventionsangebote auszuweiten. Dazu zählt unter anderem eine bessere medikamentöse Therapie, da Behandelte nicht mehr ansteckend sind. Darüber hinaus ist bessere Aufklärung über HIV und HCV nötig, um Entstigmatisierung und Risikobewusstsein zu fördern, was wiederum Bereitschaft zu Testung und Behandlung erhöhen kann.
Drittens sollte der i.v. Drogengebrauch sicherer gemacht werden, weil dort das Ansteckungsrisiko für HIV und HCV besonders hoch ist. Dazu tragen mehr Substitutionsangebote und bedarfsgerechte Angebote für hygienischen Drogenkonsum bei.
Ansteckung im Strafvollzug verhindern
Eine große Chance ist es laut IGES-Autoren viertens, HCV- und HIV-Infektionen in Gefängnissen zu eliminieren. Allerdings besteht dort noch ein großer Verbesserungsbedarf bei Prävention, Diagnostik und Behandlung. Nötig ist unter anderem ein Gesamtkonzept, das von den Justizministerien der Länder und den Haftanstalten getragen wird. Basis von allem ist es fünftens, eine bessere Datenlage zum Infektionsgeschehen zu schaffen, um die Wirksamkeit der genannten Maßnahmen besser beurteilen zu können.
Da das HI-Virus bisher durch eine Therapie nicht eliminiert werden kann, ist die wichtigste Maßnahme zur langfristig erfolgreichen Eindämmung, weitere Neuinfektionen zu vermeiden. Modellierungen der IGES-Experten zeigen, dass es mithilfe der in dem 5-Punkte-Plan genannten Maßnahmen möglich ist, die Zahl der HIV-Neuinfektionen bei Männern, die Sex mit Männern haben, bis 2030 zu halbieren und dadurch den Anstieg der HIV-Prävalenz zu verlangsamen. HCV-Infektionen könnten bis dahin sogar vollständig eliminiert sein, weil Heilung möglich ist.
Abschließend heißt es in der IGES-Studie: „Es ist möglich, die HIV- und HCV-Infektionen zu kontrollieren und einzudämmen. Bei HIV-Infektionen wurde schon viel erreicht, zur Eindämmung der HCV-Infektionen sind jedoch noch erhebliche Anstrengungen erforderlich.“