Hebammenstudie Brandenburg: neue Konzepte für die Geburtshilfe in ländlichen Gebieten nötig

Drei von vier Müttern sind mit der stationären Hebammenversorgung und Geburtshilfe in Brandenburg zufrieden bis sogar sehr zufrieden. Das gilt im Berliner Umland als auch in berlinfernen Regionen. Auch die Erreichbarkeit einer Geburtsklinik ist bis auf Randgebiete des Bundeslandes gut. Doch sinkende Geburtenzahlen, Personalmangel und Nachwuchsprobleme könnten in den kommenden Jahren dazu führen, dass Geburtsstationen schließen müssen. Eine Sicherung des Hebammennachwuchses sowie neue Konzepte zur geburtshilflichen Versorgung in ländlichen Gebieten sind daher dringend gefordert.

Titel der Studie: Hebammengutachten Brandenburg - Gutachten zur aktuellen und künftigen Versorgung mit Hebammenhilfe im Land Brandenburg

Hintergrund: Die Versorgungssituation in der Hebammenhilfe sowie die Arbeitsbelastung von Hebammen werden seit einigen Jahren diskutiert. Es gibt Berichte von Versorgungsengpässen, Schließung von Kreißsälen und fehlenden Nachwuchs-Hebammen. Daten zu einer objektiven Beurteilung der jeweiligen regionalen Lage fehlen oft.

Fragestellung: Wie ist der aktuelle Stand der Versorgung mit Hebammen in Brandenburg? Mit welchem Bedarf ist im Jahr 2030 zu rechnen? Wie kann die künftige Versorgung gesichert werden?

Methode: Literaturanalyse, Analyse statistischer Daten, quantitative Befragung von Hebammen, Hebammenschülerinnen, Krankenhäusern und Müttern, qualitative Experteninterviews.

Ergebnisse: In Brandenburg sind Mütter derzeit mit der Hebammenversorgung und Erreichbarkeit von Geburtskliniken mehrheitlich zufrieden. Doch sinkende Geburtenzahlen, Personalmangel und Nachwuchsprobleme könnten in zukünftig zu Schließungen von Geburtsstationen führen. Nötig sind die Förderung der Hebammennachwuchses und neue Konzepte zur geburtshilflichen Versorgung in ländlichen Gebieten.

Autoren: Dr. Stefan Loos, Dr. Monika Sander, Dr. Martin Albrecht, Maximilian Würz
    
Auftraggeber: Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg (MSGIV)

Schlagwörter: Hebammen, Hebammenversorgung, Geburtshilfe, Brandenburg

Veröffentlichung: Juli 2023

Berlin, 5. September 2023 (IGES Institut) - Das geht aus einem Gutachten des IGES Instituts für das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg (MSGIV) hervor. Für die Untersuchung hatte ein IGES-Expertenteam Hebammen, Hebammenschülerinnen, Krankenhäuser und Geburtshäuser sowie gut tausend Mütter befragt. Die interviewten Mütter hatten zwischen Mai 2020 und Juni 2021 ein Kind geboren. Ergänzend wurden Fachliteratur sowie Bevölkerungsstatistiken ausgewertet und Erreichbarkeitsanalysen durchgeführt.

Rückgang der Geburtenzahl um 11 Prozent

Gemäß Bevölkerungsprognosen wird es in den kommenden Jahren in Brandenburg einen Geburtenrückgang geben. Schon seit dem Jahr 2016 werden weniger Kinder geboren. Bis zum Jahr 2030 wird die Geburtenzahl im Vergleich zu 2019 um 11 Prozent zurückgehen, dabei regional sehr verschieden: Während im Berliner Umland ein Minus von vier Prozent erwartet wird, sind es in berlinfernen Regionen bis zu minus 17 Prozent.

Niedrige Geburtenzahlen in einer Klinik beeinträchtigen die Wirtschaftlichkeit und schränken die Ausbildungsmöglichkeiten ein. Dies erschwert zusätzlich die Personalgewinnung, was wiederrum eine kontinuierliche Versorgungsbereitschaft einschränken kann. In Brandenburg wiesen im Jahr 2021 elf der insgesamt 24 bestehenden Geburtskliniken weniger als 500 Geburten jährlich auf.

Drohende Klinikschließungen verschlechtern Erreichbarkeit von Geburtsstationen

Die Erreichbarkeit der Geburtskliniken in Brandenburg ist vor allem im Berliner Umland sehr gut und teilweise auch in den berlinfernen Regionen. Derzeit sind 87 Prozent der befragten Mütter damit auch zufrieden. Aber vor allem in der Nähe der angrenzenden Bundesländer und Polens ist es stellenweise deutlich schwerer, eine Klinik zu erreichen. Sollten weitere Klinikstandorte schließen – auch infolge des erwarteten Geburtenrückgangs –, würde sich die Erreichbarkeit in diesen Regionen deutlich verschlechtern.

Jede dritte Hebamme geht in den nächsten zehn Jahren in Rente

In Brandenburg gibt es gegenwärtig schätzungsweise 600 Hebammen, von denen rund ein Viertel kombiniert freiberuflich und angestellt tätig ist. Die Zahl der freiberuflich tätigen Hebammen ist in den Jahren seit 2010 um 20 Prozent auf 503 im Jahr 2021 gestiegen, die der angestellt tätigen Hebammen sogar um 42 Prozent auf 248 (2020). Allerdings erreicht rund ein Drittel der Hebammen in den nächsten zehn Jahren das Rentenalter. Bei den Beleghebammen sind es sogar zwei Drittel. Daher ist absehbar, dass es ohne grundsätzliche Änderungen schon in wenigen Jahren kaum noch Beleghebammen in Brandenburg geben wird.

Hinzu kommen Pläne von Hebammen, künftig die Arbeitszeit reduzieren zu wollen. Knapp die Hälfte der freiberuflich tätigen Hebammen plant dies in den nächsten fünf Jahren. Knapp jede Zehnte denkt sogar über ein Ende ihrer Hebammentätigkeit nach. Hiervon abbringen könnte sie vor allem eine als angemessener empfundene Vergütung, gefolgt von einer Reduzierung der nicht-originären Hebammentätigkeit oder bei den angestellten Hebammen zudem eine Reduzierung der gleichzeitig zu betreuenden Gebärenden.

Bündelung von Klinikkapazitäten unvermeidbar

Vor diesem Hintergrund wird es nach Einschätzung der Gutachter unvermeidbar sein, mit Blick auf die Hebammenversorgung Klinikkapazitäten zu bündeln. Nötig sind daher neue Konzepte, um die entstehenden, größeren räumlichen Distanzen zu überwinden. Dazu gehören der Einsatz digitaler Medien aus dem Bereich Telemedizin, aber auch zusätzliche Kapazitäten für Notfälle oder ungeplante Geburten durch speziell ausgerüstete Rettungswagen. Auch Angebote von Unterkünften in Kliniknähe für Schwangere bei planbaren Geburten zählen dazu.

Wichtig ist es laut den Gutachtern zudem, die inzwischen vollakademisierte Hebammenausbildung in Brandenburg an der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) voll hochzufahren und sie so attraktiv zu gestalten, dass sich möglichst viele Abgängerinnen im Anschluss auch für eine Tätigkeit in Brandenburg entscheiden.

Hintergrund:
14.851 Kinder sind im Jahr 2020 in Brandenburger Kliniken geboren. Die Kaiserschnittrate lag im Jahr 2019 bei rund 26 Prozent und war im Vergleich zum Bundesschnitt mit knapp 30 Prozent unterdurchschnittlich. Auf Einrichtungsebene variierte die Kaiserschnittrate allerdings zwischen 20 und bis zu 59 Prozent. Im Jahr 2021 existierten 24 Geburtskliniken. In dem im Nordosten gelegenen Bundesland leben rund 2,57 Millionen Menschen.