Whitepaper: Wie der Nutzennachweis bei Wundauflagen gelingen kann

Die im Jahr 2020 eingeführte Pflicht eines Nutzennachweises für so genannte Sonstige Produkte zur Wundbehandlung löst noch immer viele Fragen aus. Auch der für das Verfahren zuständige Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat noch keine Vorgaben veröffentlicht. Problematisch ist, dass vor allem infizierte chronische Wunden therapeutisch herausfordernd sind. Zudem fehlen übergeordnete Leitlinien in Deutschland, was auch die Erstellung von standardisierten und vergleichbaren Studien für den Nutzennachweis erschwert. Ein Expertenteam hat nun Vorschläge vorgelegt, wie die Evidenzgenerierung in diesem komplexen Versorgungsbereich funktionieren kann.

Berlin, 28. April 2023 (IGES Institut) - Nachzulesen ist dies in einem Whitepaper, das zudem die derzeitige Versorgungspraxis chronischer Wunden und die Evidenzlage am Beispiel silberhaltiger Wundauflagen beschreibt. Autoren sind Wissenschaftlerinnen des IGES Institutes in Zusammenarbeit mit Fachleuten für die Wundbehandlung aus Forschung und Praxis in Deutschland und der Schweiz. Das Whitepaper entstand mit finanzieller Unterstützung dreier Hersteller von Wundauflagen.*

Bedarf an besseren Studien in der Wundversorgung

Einig sind sich die Autoren, dass ein Bedarf an qualitativ hochwertigen Studien im Bereich der Versorgung chronischer, infizierter Wunden besteht. Das macht eine Literaturrecherche für das Whitepaper mit Fokus auf silberhaltige Wundauflagen deutlich. Demnach wird in Übersichtsarbeiten und Metaanalysen von unzureichender methodischer Qualität, starker Heterogenität sowie einem hohen Bias-Risiko der eingeschlossenen Studien berichtet.

Sowohl RCTs als auch Beobachtungsstudien einbeziehen

Der Nutzennachweis sollte laut dem Expertenteam künftig auf zwei Säulen von Studien basieren. Dazu gehören als Goldstandard der evidenzbasierten Medizin randomisierte kontrollierte Studien (RCTs). Empfehlenswert ist es, diese nur innerhalb einer Art von Wunden durchzuführen. Hintergrund ist auch, dass verschiedensten Wunden ganz unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen. Die Bewertung der Evidenzsituation sollte daher grundsätzlich dieses sehr heterogene Krankheitsgeschehen chronischer Wunden berücksichtigen.

Ergänzend sollten vergleichende Beobachtungsstudien, insbesondere Real-World-Evidence-Studien (RWE-Studien), in den Nutzennachweis einfließen. Vorteil von RWE-Studien ist es, dass sie das ambulante Setting des Behandlungsalltags abbilden können. Chronische Wunden müssen oft monatelang und sehr ausdauernd mithilfe häufiger Verbandwechsel behandelt werden, in Arztpraxen, von Pflegekräften zu Hause oder in Pflegeheimen.

Vorschläge für geeignete Endpunkte

Die Experten raten, bei der Entwicklung des Studienprotokolls die medizinische Zweckbestimmung von Sonstigen Produkten zur Wundbehandlung zu definieren, um die Wahl der Endpunkte zu begründen. Sie empfehlen in dem Whitepaper konkret auch Endpunkte unter Verweis auf internationale Fachgesellschaften. Danach sollten als primäre Endpunkte die Prävention oder Auflösung einer Infektion genutzt werden - quantifiziert als Reduktion der klassischen klinischen Infektionszeichen. Auch die Verringerung der Wundfläche käme als Surrogatparameter für die Wundheilung in Frage. Ferner sollte die Perspektive der Betroffenen einfließen. Dies ist mithilfe patientenseitig berichteter Endpunkte wie etwa der Schmerzreduktion oder der Zufriedenheit mit der Therapie möglich (Patient Reported Outcome Measures, PROMS).

Beratungsmöglichkeit beim G-BA für Hersteller nötig

Um Studien standardisierter und vergleichbarer gestalten zu können, ist laut der Autoren des Whitepapers die Anwendung von etablierten Konzepten zur Diagnostik und Therapie chronischer Wunden hilfreich. Sie empfehlen daher, dass der G-BA auf entsprechende Konsenspapiere, Empfehlungen oder Leitlinien zur Orientierung verweisen sollte. Auch sollte es für Hersteller beim G-BA für den zu erbringenden Nutzennachweis Beratungsmöglichkeiten geben.

Produkteigenschaften transparenter machen

Genauso nötig sei es, dass die Produkteigenschaften von Sonstigen Produkten zur Wundbehandlung transparenter werden, so die Experten. Derzeit bestehen für Hersteller keine gesetzlichen oder regulativen Vorgaben für bestimmte Angaben wie etwa zur Abgabe von Inhaltsstoffen. Einheitliche Angaben sichern ebenfalls die Vergleichbarkeit von Studien. Zudem gibt dies behandelnden Ärzten und Pflegekräften eine bessere Orientierung für die Anwendung der Produkte.

Versorgungslücken für Patienten vermeiden

Ziel der Vorschläge zur künftigen Evidenzgenerierung bei Sonstigen Produkten zur Wundbehandlung ist es, eine mögliche Versorgungslücke für Patienten zu vermeiden. Derzeit gilt, dass Patienten derartige Wundauflagen (sonstige Produkte zur Wundbehandlung) ab dem 2. Dezember 2023 nur noch dann von ihrer Krankenkasse erstattet bekommen, wenn deren therapeutischer Nutzen im Rahmen eines Antragsverfahrens beim G-BA nachgewiesen wurde. Um den Wegfall der Erstattungsfähigkeit für Patienten zu verhindern, sollte erwogen werden, eine Erprobungsphase von hinreichender Dauer zu schaffen, um mögliche Empfehlungen des G-BA zum Nutzennachweis auch umsetzen zu können. Alternativ könnte in Betracht gezogen werden, die derzeit bis zum 1. Dezember 2023 geltende Übergangsfrist zu verlängern, heißt es in dem Whitepaper.

* ConvaTec GmbH, Smith&Nephew GmbH, URGO GmbH.

Hintergrund:

Der neue Umgang mit Sonstigen Produkten zur Wundbehandlung geht auf einen Beschluss des G-BA zurück. Darin hatte das Gremium Verbandmittel als unmittelbar erstattungsfähige Medizinprodukte definiert und Sonstige Produkte zur Wundbehandlung davon abgegrenzt. Dies geschah durch eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie mit Wirkung zum 2. Dezember 2020. Sonstige Produkte zur Wundbehandlung sind demzufolge Produkte, die über reine Verbandmittel-Eigenschaften hinaus therapeutisch wirken, beispielsweise durch aktiven Einfluss auf physiologische und pathophysiologische Wundheilungsabläufe. Sie werden erst nach Prüfung des therapeutischen Nutzens durch den G-BA und Aufnahme in die Anlage V der Arzneimittel-Richtlinie erstattungsfähig.

In Deutschland leiden zwischen 400.000 und vier Millionen Menschen an einer chronischen Wunde. Diese epidemiologische Spannbreite spiegelt das sehr heterogene Krankheitsgeschehen wider.