Studie: Bessere Palliativversorgung in Pflegeheimen verhindert Klinikeinweisungen
Viele Pflegeheimbewohner sterben ungewollt im Krankenhaus und nicht in der für sie vertrauten Einrichtung. Mit überschaubaren personellen und finanziellen Mitteln lässt sich dies verhindern, wie ein Modellprojekt mit speziell qualifizierten Pflegekräften zeigt. Diese Fachkräfte können sich intensiv um die Begleitung am Lebensende kümmern, denn sie erhalten dafür zusätzliche Zeitkontingente. Weil durch diese bessere Palliativversorgung kostenintensive Krankenhauseinweisungen verhindert werden, kann sich der zusätzliche personelle Einsatz unter dem Strich aus Sicht der Kostenträger sogar rechnen. Vor allem aber fühlen sich Sterbende und ihre Angehörigen besser versorgt. Und auch die Pflegekräfte sind mit ihrer Tätigkeit zufriedener.
Berlin, 26. April 2023 (IGES Institut) - Das zeigt eine Evaluation des Projektes „Zeitintensive Betreuung im Pflegeheim“ – kurz ZiB - der Paula Kubitscheck-Vogel-Stiftung, die ein Wissenschaftlerteam des IGES Instituts im Auftrag der Stiftung vorgenommen hat. Dafür werteten die Fachleute Versorgungsdaten von 340 Bewohnerinnen und Bewohnern aus 20 Pflegeheimen in Bayern aus (Zeitraum Dezember 2021 bis Oktober 2022). 60 Prozent von ihnen verstarben in dieser Zeit. In der Sterbephase kümmerten sich sogenannte ZIB-Kräfte gezielt um die Betroffenen.
ZIB-Kräfte sind Pflegekräfte mit Weiterbildung im Bereich Palliative Care. Sie sind zusätzlich zu ihrem Arbeitsvertrag im Pflegeheim mit einem kleinen Stundenkontingent in einem Hospizverein angestellt und übernehmen in dieser Zeit in ihrer eigenen Pflegeeinrichtung die Palliativpflege für Menschen in der Sterbephase. Fachlich begleitet wird der Einsatz von einer lokalen Koordinationskraft im Hospizverein.
Weniger Krankeneinweisungen in der Sterbephase
Deutlich wird die verbesserte Palliativversorgung etwa an der Zahl der Krankenhauseinweisungen in den letzten vier Wochen vor dem Tod. Bei den Bewohnerinnen und Bewohnern, die in den beteiligten Einrichtungen 2019 verstarben, kam es in der Sterbephase bei 41 Prozent zu mindestens einer Krankenhauseinweisung. Kümmerte sich nun während der Projektzeit gezielt eine Palliativkraft um Sterbende, waren es nur knapp 17 Prozent, die in den letzten vier Wochen vor dem Tod noch ins Krankenhaus mussten.
Neun von zehn Heimbewohnern sterben in vertrauter Umgebung
Zudem konnte durch den Einsatz der ZiB-Kräfte der Anteil der im Pflegeheim verstorbenen Bewohnerinnen und Bewohner deutlich erhöht werden: von 66,2 Prozent im Jahr 2019 vor dem ZIB-Projekt auf 93,5 Prozent. Das Durchschnittsalter lag mit 83,7 Jahren bei den im Krankenhaus verstorbenen Personen etwas niedriger als bei den im Pflegeheim verstorbenen Personen (87,4 Jahre). Beide Gruppen waren gleich morbide, wiesen also eine ähnliche, durchschnittliche Anzahl angegebener Diagnosen auf.
80 Prozent der Angehörigen waren mit der Versorgung durch ZIB-Kräfte sehr zufrieden und 20 Prozent zufrieden, ergab eine Befragung im Rahmen der Studie. Rund 90 Prozent hatten das Gefühl, dass die ZIB-Kräfte den Wünschen ihrer sterbenden Familienmitglieder nachkommen. Zudem fühlten sie sich ausreichend in Entscheidungsprozesse eingebunden und über die Verfassung der Sterbenden aufgeklärt.
Palliativpflege nicht durch Personalmangel aufweichen
Zu den häufigsten Tätigkeiten der ZIB-Kräfte gehörten die zeitintensive Grundpflege, die Unterstützung bei der oft schwerfallenden Nahrungsaufnahme am Lebensende, Gespräche oder auch nur das Wachehalten am Bett. Bei den Pflegefachkräften selbst wuchs die Arbeitszufriedenheit, wie deren Befragung zeigte. Wichtig sei es jedoch, dass ZIB-Zeit klar von der normalen Pflege unterschieden werden müsse und nicht durch Personalmangel aufgeweicht werden dürfe, so die Pflegekräfte. Aus Sicht befragter Leitungskräfte der Einrichtungen mache die Möglichkeit einer „Zeitintensiven Betreuung am Lebensende“ ein Heim als Arbeitsplatz attraktiver, was wiederum dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegenwirken könne.
Zusätzliche Kosten von 2.500 Euro pro Monat
Aus Sicht der Pflegeheimleitungen erfordert die gezielte palliative Versorgung Sterbender durch geschulte Fachkräfte im Mittel ein zusätzliches monatliches Zeitkontingent von 50 Stunden pro Einrichtung. Im Modellprojekt beliefen sich die Mehrkosten für ZiB, einschließlich der Kosten für die Palliative Care-Weiterbildung und der Anleitung durch Kräfte aus den Hospizvereinen, bei zwei ZiB-Kräften pro Pflegeheim auf rund 2.500 Euro pro Monat. Berechnungen mit durchschnittlichen Behandlungskosten von Krankenhausfällen zeigen, dass sich allein durch die Verringerung der Krankenhausaufenthalte in den letzten vier Wochen vor dem Versterben die zusätzlichen ZIB-Kosten amortisieren. Die dauerhafte Etablierung von ZiB bedarf einer regelhaften Finanzierung. Eine gesonderte Vergütung der allgemeinen Palliativpflege im Heim aus Mitteln der Krankenversicherung existiert bislang nicht. Die Potenziale des ZiB-Ansatzes für die Wirtschaftlichkeit der Versorgung konnten anhand der Studienergebnisse herausgearbeitet werden.