Mehr psychische Leiden während der Corona-Pandemie bei Mädchen in Sachsen
In Sachsen haben während der Pandemie vor allem Mädchen psychisch gelitten. Bei ihnen wurden im Vergleich zur Vorpandemiezeit mehr psychische Erkrankungen diagnostiziert als bei Jungen. Vor allem Angststörungen, depressive Phasen und Essstörungen nahmen bei ihnen stärker zu. Bezogen auf beide Geschlechter und über alle psychischen Diagnosen hinweg blieb der Anteil psychisch kranker Kinder im Alter zwischen zehn und 16 Jahren während der Pandemie jedoch stabil.
Berlin, 03. März 2023 (IGES Institut) - Das geht aus einer Analyse des IGES Instituts für das Sächsische Sozialministerium hervor. Ausgewertet wurden alle in Sachsen bei den gesetzlichen Krankenkassen durch Ärzte oder Psychotherapeuten zwischen Anfang 2018 und Ende 2021 eingereichten anonymisierten Diagnosen. Im Fokus standen zehn- bis 16-jährige Schülerinnen und Schüler .
Inzidenzanstieg psychischer Leiden um sieben Prozent bei Mädchen
Für Mädchen lag die Inzidenz psychischer Leiden, also die Neuerkrankungsrate, vor Pandemiebeginn bei 3,1 Prozent. Während der Pandemie waren es 3,3 Prozent. Dies entspricht einer Zunahme um sieben Prozent. Besonders betroffen war die Altersgruppe der 15- bis 16-jährigen Mädchen. Dort stieg die Neuerkrankungsrate um neun Prozent von 3,8 auf 4,1 Prozent.
Bei den Jungen hingegen nahm die Anzahl aller psychischen Neudiagnosen insgesamt ab. Vor allem in der Altersgruppe der 10- bis 11-Jährigen fiel der Rückgang mit sechs Prozent von 3,7 auf 3,5 Prozent am größten aus.
Verschiebungen bei den Diagnosen während der Pandemie
Die IGES-Studie liefert einen differenzierten Blick auf diese Entwicklung und zeigt, dass es bei den verschiedenen Diagnosen zu Verschiebungen kam, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Pandemie stehen: Auf der einen Seite zeigt sich etwa ein Rückgang des Krankheitsgeschehens bei der häufigsten Diagnose in der Altersgruppe der 10- bis 16-Jährigen insgesamt und bei beiden Geschlechtern: den hyperkinetischen Störungen, zu denen auch Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) gehören. Die Inzidenz ging vor allem bei Jungen zurück: von 0,8 Prozent Anfang 2018 auf 0,5 Prozent Ende 2021.
Umgekehrt fallen viele Diagnosen auf, bei denen das Krankheitsgeschehen seit Pandemiebeginn zunahm. Bei einem Teil der Diagnosen zeigt sich ein eindeutiger zeitlicher – wenn auch nicht unbedingt ein kausaler – Zusammenhang zum Beginn der Pandemie und den damit verbundenen Kontaktbeschränkungen. Dies trifft auf die Angststörungen, die depressiven Episoden und die Essstörungen zu.
Vor Beginn der Pandemie lag etwa die Prävalenz der depressiven Episode bei Mädchen bei einem Prozent. Nach Beginn der Pandemie stieg sie um 18 Prozent auf durchschnittlich 1,2 Prozent.
Wahre Krankheitslast durch psychische Leiden unterschätzt
Teil der Studie war eine Expertenbefragung. Die hinzugezogenen Fachleute wiesen darauf hin, dass die tatsächliche Krankheitslast durch psychische Leiden generell unterschätzt werde, da die Nachfrage nach Behandlungen größer ausfalle als die Behandlungskapazitäten. Die IGES-Autoren ergänzen, dass zudem die durch Kontaktbeschränkungen zurück gegangene Anzahl der Arzt- und Therapeutenbesuche zu einer Untererfassung des Behandlungsbedarf beigetragen habe.
Schulschließungen schaden der psychischen Gesundheit von Kindern
Einen kausalen Zusammenhang zwischen den Kontaktbeschränkungen während der Covid-19-Pandemie und der Entwicklung der psychischen Krankheitslast der Kinder in Sachsen kann das Untersuchungsdesign der Studie nicht liefern. Sie zeigt statistische und zeitliche Zusammenhänge. Für die für die Studie befragten Experten ist der Zusammenhang jedoch eindeutig: Die meisten Maßnahmen wie etwa die Maskenpflicht oder die Corona-Testungen in der Schule halten sie für unbedenklich. Schulschließungen und die Einschränkungen des öffentlichen Lebens bewerten sie jedoch übereinstimmend als schädlich für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.
Experten leiten Handlungsempfehlungen ab
Die Experten empfehlen, bei künftigen Pandemien Schulschließungen nur dann zu erwägen, wenn der Infektionsschutz nicht auf andere Weise geleistet werden kann. Das öffentliche Leben, auf das Kinder und Jugendliche angewiesen seien, sollte ebenfalls so wenig wie möglich eingeschränkt werden. Zudem sollten die ärztlichen und therapeutischen Kapazitäten für die Behandlung psychischer Erkrankungen von Kindern überprüft werden. Ferner raten sie zu mehr präventiven Maßnahmen an Schulen, um psychische Problemlagen der Schüler besser zu erkennen.