Preisregulierung bei Orphan Drugs durch die Nutzenbewertung funktioniert
Die Diskussion um die Nutzenbewertung von Orphan Drugs hält an. Es geht dabei vor allem um den gesetzlich geregelten Zusatznutzen bei Markteinführung sowie die nachgelagerte Nutzenbewertung nach Überschreitung der Jahresumsatzschwelle von 30 Millionen Euro. Zum „Tag der seltenen Erkrankungen“ 2024 weist das IGES Institut auf eigene Untersuchungen zu diesem Thema hin. Die Analysen zeigen, dass das AMNOG auch bei Orphan Drugs wirkt. Zudem wird deutlich, welche Herausforderungen beim Nachweis des Zusatznutzens im Falle einer regulären Nutzenbewertung von Orphan Drugs bestehen.
Berlin, 29. Februar 2024 (IGES Institut) - So belegt eine IGES-Studie die vom Gesetzgeber intendierte Rolle der Nutzenbewertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) als Preisregulierungsinstrument. Dafür untersuchten IGES-Experten die jährlichen Therapiekosten von 133 neu eingeführten Orphan Drugs aus den Jahren 2005 bis 2021 und verglichen diese mit denen von Orphan Drugs, die vor Einführung des AMNOG auf den Markt kamen. Es wurde dabei auch die Zahl der Patienten, für die ein Orphan Drug indiziert ist, berücksichtigt.
Orphan Drugs zielen auf immer kleinere Patientengruppen
Lagen die durchschnittlichen Jahrestherapiekosten eines Orphan Drugs in der Vor-AMNOG-Zeit bei rund 100.000 Euro, waren es nach AMNOG-Einführung 253.000 Euro. Allerdings wurden die für ein Präparat in Frage kommenden Patientengruppen immer kleiner: Sie schrumpften durchschnittlich von 4.586 Patienten vor Einführung des AMNOG auf im Mittel 1.822 Patienten nach Inkrafttreten des Gesetzes. Rechnet man diesen Einfluss heraus, wird deutlich, dass seit der AMNOG-Einführung die durchschnittlichen, inflationsbereinigten Behandlungskosten für Orphan Drugs sanken: in Bezug auf den Einführungspreis um 25 Prozent und bezogen auf den Erstattungsbetrag um sechs Prozent. Diese Studie entstand mit Unterstützung des Unternehmens Takeda Pharma.
AMNOG-Rabatte bei Orphan Drugs korrelieren mit Zusatznutzen
Den Zusammenhang zwischen Nutzenbewertung nach Überschreiten der Jahresumsatzschwelle (zum Zeitpunkt der Studie noch 50 Millionen Euro) und die auf dieser Basis verhandelten AMNOG-Rabatte untersucht eine weitere IGES-Studie. 17 Orphan Drugs, bei denen bis März 2023 Preisverhandlungen abgeschlossen waren, flossen dabei ein. Ergebnis: Die AMNOG-Rabatte korrelierten eindeutig mit dem ermittelten Zusatznutzen. Auch dies entspricht den Zielen des AMNOG, nämlich einen Zusammenhang zwischen Erstattungsbetrag und Zusatznutzen zu erreichen.
Preisabschläge bis zu 43 Prozent nach regulärem AMNOG-Verfahren
Insgesamt betrachtet bewegte sich die Preisveränderung nach der regulären Nutzenbewertung - dargestellt anhand der Jahrestherapiekosten der Wirkstoffe - zwischen Abschlägen bis zu 43 Prozent und Aufschlägen bis zu 14 Prozent. Die Mehrheit der untersuchten Wirkstoffe – gut 80 Prozent – erfuhr im Anschluss der nachgelagerten Nutzenbewertung einen Preisabschlag.
Bei drei der 17 Wirkstoffe wurde für alle Zielpatientengruppen in der regulären Nutzenbewertung ein Zusatznutzen festgestellt. Bei ihnen erhöhten sich die Jahrestherapiekosten in einer Spanne von fünf bis 14 Prozent. Bei sieben der untersuchten Orphan Drugs resultierte aus regulären Nutzenbewertung für keine der Patientengruppen ein Zusatznutzen: Infolgedessen reduzierten sich die Jahrestherapiekosten zwischen fünf und 40 Prozent, durchschnittlich um 24 Prozent.
Eine dritte Studie gibt Einblick in die Bedeutung und Bewertung der eingereichten Studien für die AMNOG-Verfahren nach Überschreiten der Jahresumsatzgrenze. 18 Orphan Drugs mit insgesamt 39 Patientengruppen wurden analysiert.
Beträchtlicher Zusatznutzen für 42 Prozent der untersuchten Wirkstoffe bei regulärer Bewertung
Zum Zeitpunkt der Nutzenbewertung zur Markteinführung der untersuchten Wirkstoffe waren die häufigsten Bewertungskategorien ein „geringer Zusatznutzen“ (48,9 Prozent) und ein „nicht-quantifizierbarer Zusatznutzen“ (38,9 Prozent). Nach der regulären Nutzenbewertung waren die häufigsten Kategorien „kein Zusatznutzen“ (54,3 Prozent) oder ein „beträchtlicher Zusatznutzen“ (41,9 Prozent).
Zusatznutzen zur Markteinführung für mehr als die Hälfte der Patientengruppen quantifizierbar
Eine populationsgewichtete Analyse zeigt, dass der Zusatznutzen im Orphan-Verfahren in 61 Prozent der Populationen quantifizierbar ist. Obwohl der Zusatznutzen im Orphan-Arzneimittelverfahren zunächst gesetzlich garantiert ist, hatte der G-BA somit eine wissenschaftliche Datengrundlage, um den Zusatznutzen in mehr als der Hälfte der Populationen zu quantifizieren.
Bei 11 der 39 Zielpatientengruppen (28 Prozent) veränderte sich das festgestellte Ausmaß des Zusatznutzens durch die reguläre Nutzenbewertung nicht, obwohl für zwei der 11 zwei Patientengruppen neue Evidenz vorgelegt wurde. Bei neun Patientengruppen reichte die bereits bei der Markteinführung vorgelegte Evidenz aus, um auch in der regulären Nutzenbewertung einen Zusatznutzen nachweisen zu können.
Vorgelegte Studien sind teilweise nicht für das AMNOG-Verfahren geeignet
Bei 21 der 39 Zielpatientengruppen (54 Prozent) wurde der Zusatznutzen als nicht belegt bewertet. Der häufigste Grund dafür war, dass die vorgelegten Studien - zumeist randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) - nicht primär für das AMNOG geeignet sind. Die eingereichten RCTs wurden für das Verfahren zumeist nicht berücksichtigt, da kein Vergleich gegen die zweckmäßig Vergleichstherapie (zV)T erfolgte. Die IGES-Autoren raten daher, bei der Planung von Zulassungsstudien und Studien für das AMNOG, bereits eine reguläre Nutzenbewertung und die daraus resultierenden Anforderungen vor Augen zu haben.
Über die IGES-Studien :
Grundlage der IGES-Analysen waren Daten aus dem IGES ARA® – AMNOG Resolution Analyzer. Dabei handelt sich um eine webbasierte AMNOG-Analyseplattform, die umfassende Einsichten in die frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel seit Einführung des AMNOG-Verfahrens im Jahr 2011 bietet. Einige der Studienergebnisse hatten die IGES-Wissenschaftler auf der europäischen Konferenz der "International Society for Pharmacoeconomics and Outcomes Research" (ISPOR) 2023 in Kopenhagen (Dänemark) präsentiert (12. bis 15. Nov. 2023).