Nachwuchsplanung: Die bevorzugte Zeit für die Zeugung verlagert sich vom Sommer in den Winter
Der Spitzenmonat für Geburten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland von März auf August verschoben. Bei neunmonatiger Dauer einer regulären Schwangerschaft bedeutet dies, dass mehr Kinder in der Winter- und Weihnachtszeit gezeugt werden. Im Osten Deutschlands setzte dieser Trend allerdings zeitversetzt ein. Die Verschiebung der Geburtensaisonalität ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, darunter die Einführung oraler Verhütungsmittel, aber auch auf politische und sozioökonomische Veränderungen im Kontext der Wiedervereinigung.
Berlin, 20. Dezember 2024 (IGES Institut) - Das geht aus einer bevölkerungsbezogenen Studie von Experten des IGES Instituts und der Charité – Universitätsmedizin Berlin hervor, die im Journal of Perinatal Medicine veröffentlicht wurde (Dezember 2024). Die Studie analysiert die allgemeinen Fruchtbarkeitsraten, monatliche Geburtsdaten, Spitzengeburtsmonate und das durchschnittliche Alter der Mütter im Zeitraum 1950 bis 2022.
Osten Deutschlands zieht erst nach der Wiedervereinigung nach
Demnach lag der Spitzenmonat für Geburten in Deutschland von 1950 bis 1970 zwischen März und April, wie viele andere Studien über Länder der nördlichen Hemisphäre auch zeigen. Im Westen Deutschlands verlagerte sich diese Spitze von 1971 bis 1983 auf Mitte Juli und stabilisierte sich von 2005 bis 2022 im August. In Ostdeutschland gab es in den 1970er Jahren eine leichte Verlagerung auf Ende April. Aber erst nach der Wiedervereinigung 1990, also erst 20 Jahre später als im Westen Deutschlands, kam es zu der Verlagerung auf den August.
Dieses Ergebnis wird gestützt von einer aktuellen und tagesgenauen Auswertung des Statistischen Bundesamtes zu den Geburten des Jahres 2023, die einen spezifischen Blick auf die Weihnachtszeit eröffnen. „Der 20. September ist hinter den Tagen im Sommer einer der Tage mit den meisten Geburten, wenn man berücksichtigt, dass die einzelnen Wochentage erhebliche Unterschiede bei der Zahl der Geburten zeigen. Der 20. September ist übrigens der 270. Tag nach dem 24. Dezember“ sagte Prof. Bertram Häussler, Leiter der IGES Gruppe und einer der Autoren.
Ein wesentlicher Faktor für die Verschiebung in den August ist die Einführung oraler Verhütungsmittel, erläutern die Autoren. Dies gab Paaren mehr Kontrolle über den Zeitpunkt der Empfängnis, was wiederum zu einer Präferenz der Empfängnis zu bestimmten Zeiten des Jahres führte. Zudem ging dies mit einer Erhöhung des Durchschnittsalters
Antibabypille nicht alleinige Ursache für den Shift bei den Geburtsmonaten
Ein höheres Durchschnittsalter der Mütter bedeutet, dass mehr Frauen und ihre Partner bei der Geburt eines Kindes ein eigenes Zuhause haben. Dies und der Zugang zu wirksamer Fertilitätskontrolle gibt jungen Paaren mehr Freiheit bei der Entscheidung, wann sie Kinder bekommen wollen, heißt es in der Publikation.
Die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln ist aber laut den Autoren nicht der einzige Faktor, der die Verschiebung des Hauptgeburtsmonat erklären kann. Das ergibt sich aus dem Vergleich der beiden Teile Deutschlands. So kam es in Ostdeutschland erst nach dem Zusammenbruch der DDR zu einem gleichzeitigen Rückgang der Geburtenrate und einem Anstieg des Durchschnittsalters der Frauen bei Geburt. Dies deutet darauf hin, dass die Freiheit der Empfängniskontrolle erst nach dem Ende der östlichen Staatspolitik gegenüber der Fortpflanzung vollständig wirken konnte.
Winterzeit lässt in den eigenen Wänden mehr zusammenrücken
Freiheit bei der Wahl der Empfängnis führt wiederum zu einer Präferenz des Novembers als Spitzenmonat, der als winterlich kalter und dunkler Monat zu mehr häuslichen Freizeitaktivitäten führt. Dies in Verbindung mit der Verfügbarkeit einer eigenen Wohnung eröffnet ausreichend Möglichkeiten, sich fortzupflanzen, schreiben die Autoren.
Sie verweisen aber auch auf andere Länder wie Frankreich oder Schweden, wo sich die Zahl der Geburten gleichmäßiger über das Jahr verteilt. In Schweden wird dies anderen Studien zufolge darauf zurückgeführt, dass Paare in dem skandinavischen Land freier in ihrer Familienplanung und damit weniger abhängig von saisonalen Faktoren sind. Die Autoren schlagen daher weitere vergleichende Studien mit Schweden oder Frankreich vor.