Substitutionstherapie für Opioidabhängige: Struktur der Vergütung ändern
Nur etwa die Hälfte der opioidabhängigen Menschen erhält derzeit eine Drogenersatztherapie. Ein neu entwickeltes ärztliches Vergütungskonzept will diesen Anteil erhöhen und zugleich Substitutionstherapie stärker an medizinischen Aspekten ausrichten, um die Behandlung für die Suchtmediziner attraktiver sowie gleichzeitig die Betreuung patientenorientierter zu machen. Vor allem das therapeutische Gespräch mit Betroffenen würde damit besser honoriert statt wie bisher die möglichst häufige Abgabe des Substitutionsmittels. Ein weiterer Vorschlag zielt auf eine Neugestaltung der bestehenden Konsiliarregelung: Suchtmediziner würden gezielt unterstützt, therapeutische Teams mit Ärzten am Wohnort der Patienten zu bilden. Das könnte dem drohenden Mangel an substituierenden Ärzten entgegenwirken.
Berlin, 16. März Januar 2022 (IGES Institut) - Entwickelt hat das so genannte „Vergütungskonzept zur Zukunftssicherung der ambulanten Substitutionstherapie“ (ZamS-Vergütungskonzept) ein Expertenteam des IGES Instituts in Kooperation mit einer Arbeitsgruppe von Vertragsärzten, die ambulante Substitutionstherapien durchführen.
Bestehende Fehlanreize in der Substitutionstherapie
Ausgangspunkt sind die derzeit bestehenden wirtschaftlichen Fehlanreize in der Substitutionstherapie von opioidabhängigen Patienten. So werden substituierende Ärztinnen und Ärzte derzeit am höchsten vergütet, wenn Betroffene täglich in die Praxis kommen und dort das Ersatzpräparat einnehmen.
Möglich sind unter bestimmten medizinischen und individuellen Bedingungen jedoch auch die Take-Home-Vergabe oder die Verabreichung eines Depots, die keinen täglichen Besuch in der Praxis erfordern. Diese Vergabe- und Verabreichungsformen unterstützen die selbstbestimmte Lebensführung, Berufstätigkeit und gesellschaftliche Teilhabe der Betroffenen. Allerdings werden Ärztinnen und Ärzte für diese Therapieschemata deutlich geringer vergütet: Bei einem Wechsel von der täglichen Vergabe zu einer wöchentlichen Mitgabe sinkt die Vergütung um die Hälfte oder sogar noch stärker.
Das ZamS-Vergütungskonzept soll den Wechsel hin zu einer mehr an medizinischen Aspekten und an Patientenbedürfnissen orientierten Therapie der Opiodabhängigkeit fördern, indem es Ärztinnen und Ärzten die Sorgen um Erlöseinbußen durch Therapiewechsel nimmt.
Ärztliche Gespräche mit opioidabhängigen Patienten besser vergüten
Vorgesehen ist eine Umschichtung der Vergütung: weg von der bevorzugten Honorierung der Vergabe der Ersatzpräparate hin zu einer besseren Vergütung ärztlicher Gespräche und der Koordination der Behandlung. Es sieht drei neue Gebührenordnungspositionen (GOP) vor: Zwei davon sind für die andauernde Therapie gedacht und unabhängig von der Vergabe- bzw. Verabreichungsform des Substitutionsmittels.
Die erste „GOP für kontinuierliche Therapie“ deckt die Gespräche und Koordinierungsaufgaben ab und wird nach Zeit, also nach Länge des Arzt-Patienten-Kontaktes abgerechnet. Diese GOP kann je nach Stadium der Behandlung und Ausmaß von Komorbiditäten unterschiedlich oft abgerechnet werden. Dadurch können die Suchtmediziner die Behandlung besser als heute an die individuellen Bedarfe ihrer Patienten anpassen.
Die zweite GOP nennt sich „GOP für Vorhaltung OST“ (Opioid Substitutions-Therapie). Sie honoriert alle anfallenden organisatorischen und administrativen Arbeiten für die Vergabe bzw. Verabreichung der Ersatzmittel. Die dritte „GOP für Neueinstellung/Praxiswechsel“ wird für Patienten abgerechnet, die neu eine Substitutionstherapie beginnen bzw. die Arztpraxis wechseln. Sie trägt dem erhöhten Betreuungsaufwand für neue und wechselnde Patienten Rechnung. Dies soll zudem den Anreiz stärken, weitere Patienten aufzunehmen und damit zur Sicherung der flächendeckenden suchtmedizinischen Versorgung opioidabhängiger Menschen beitragen.
Wohnortnahe Betreuung suchtkranker Menschen verbessern
Als eine mögliche Erweiterung umfasst das Konzept ferner eine veränderte Struktur und Honorierung der Zusammenarbeit zwischen Suchtmedizinern und Ärzten, die eine kleine Zahl von Patienten im Rahmen der sogenannten Konsiliarregelung betreuen. Unter der bestehenden Regelung wird nur eine geringe Versorgungsrelevanz erreicht. Der Änderungsvorschlag macht die Zusammenarbeit attraktiver und kann damit einen Beitrag zur Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung leisten.
Beispielrechnungen für die Konzeptentwicklung zeigen, dass Ärztinnen und Ärzte nach dem neuen Vergütungskonzept im Durchschnitt vergleichbare Erlöse erzielen würden. Inwiefern sich die Vergütung für eine einzelne Praxis ändern würde, hängt von ihrer derzeitigen Vergabe- und Verabreichungspraxis sowie vom Gesprächs- und Koordinationsbedarf ihrer Patienten ab. Einzelheiten zu den Beispielrechnungen können dem White Paper „ZamS-Vergütungskonzept – Beitrag eines Vergütungskonzepts zur Zukunftssicherung der ambulanten Substitutionstherapie“ entnommen werden.
Rückgang auf bundesweit 2.500 substituierende Ärzte
In Deutschland führen nach Angaben der Bundesopiumstelle rund 2.500 Ärzte substitutionsgestützte Behandlungen für etwa 80.000 opioidabhängige Patienten durch (Stand 2021). Die Zahl substituierender Ärzte ist in den vergangenen zehn Jahren um rund acht Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Patienten nahm hingegen um etwa sechs Prozent zu. Verschärft wird die künftige Versorgungslage, da in den kommenden Jahren viele Ärzte altersbedingt ausscheiden werden. Das ZamS-Vergütungskonzept ist als Ideengeber intendiert, wie dem drohenden Versorgungsengpass weiter begegnet werden könnte.
Das Konzept entstand mit finanzieller Unterstützung des Pharmaunternehmens Camurus.